Unter den Augen des Präsidenten

Die Bremer Tabakbörse ist der einzige Ort auf der Welt, an dem edler Zigarrentabak aus Indonesien versteigert wird. Ein Besuch an einem vom Aussterben bedrohten Ort, an dem ältere, Zigarre rauchende Herren unter höchster Geheimhaltung ihre Gebote abgeben

AUS BREMEN JAN ZIER

Unscheinbar kommt er daher, der rote Backsteinbau im Bremer Freihafen, im zweckmäßigen Stil der Fünfziger. Kein Schild weist den Hereinkommenden den Weg, doch all die älteren Herren hier gehören ohnedies zu den Eingeweihten. Und kommen auch schon seit Jahren, mindestens, meist aber seit Jahrzehnten. Ihre dunklen Limousinen draußen deuten darauf hin, dass drinnen viel Geld umgeschlagen wird. Die Bremer Tabakbörse. Der einzige Ort auf der Welt, an dem indonesischer Tabak gehandelt wird, werden darf. Nur die besten Qualitäten. Sumatra und Java. Der Stoff aus dem Zigarren sind. Die teuren, versteht sich.

Es ist ein schwüler Ort am Rande der Zollgrenze, durchgehend weiß gekalkt, frei von künstlichem Licht, frei von Lichtreflexen. Gut 100 Meter lang und 25 Meter breit, zur Hälfte in kleine Parzellen mit halbhohen Stellwänden aufgeteilt. Dort haben die Tabakmakler ihre Büros, gut 80 an der Zahl, dort können sie fernab der Konkurrenz, hinter verschlossenen Türen, die Ware bemustern. Alles ist nach Norden ausgerichtet, damit nur ja die Sonne nicht durch die 15 Giebeldächer hereinscheinen kann. Und vollklimatisiert, 24 Grad Celsius, feuchtwarm. Tabak darf keinesfalls trocken liegen.

Punkt elf Uhr ertönt der Gong. Eine knarzende Frauenstimme aus einem alten Lautsprecher hallt durch den Raum, fordert die Händler – nein, es muss nicht HändlerInnen heißen – fordert sie also dazu auf, jetzt ihre Gebote abzugeben. 15 Minuten sind dafür zunächst Zeit. 702 Ballen Java Tabak stehen heute unter anderem zum Verkauf, jeder 50 Kilo schwer. Avisierter Mindestpreis: Gut zehn Euro pro Kilo.

Vor einem kleinen Kabuff sammeln sich grauhaarige Herren in dunklen Anzügen, keiner jünger als 50, in der Hand einen verschlossenen Umschlag. Einer nach dem anderen werden sie durch den Schlitz geschoben. Ein Klopfen an der Scheibe, Sicherheitsglas, mit braunen Jalousien verhangen. Von drinnen antwortet ein Klopfen. Ein Zeichen, dass das Gebot eingegangen ist. Die Stahltür, zweifach gesichert, sie bleibt zu. Keiner erfährt, was der andere geboten hat.

Drinnen, im Allerheiligsten, sitzen zehn Herren aus Indonesien an einem langen Tisch zusammen, der Generalkonsul ist darunter, einige Regierungsvertreter, dazu die Verwalter der Tabakplantagen. Der Tabakanbau in Indonesien ist allein in staatlicher Hand. Davon kündet schon das Bildnis des Staatsoberhauptes im vergoldeten Rahmen, das über dem Geschehen wacht.

Über Jahrhunderte hinweg haben sie ihren Tabak immer in die Niederlande verschifft, nach Amsterdam, nach Rotterdam. Schließlich war Indonesien, das seinerzeit noch Niederländisch Ostindien hieß, eine Kolonie. Doch dann kam der Krieg, die Unabhängigkeit, ein paar Unregelmäßigkeiten bei der 57er Ernte, kurzum, mit den Holländern wollten sie in Indonesien nichts mehr zu tun haben. Ein neuer Börsenplatz musste also her, und der konnte nur in Europa liegen, denn hier sind bis auf den heutigen Tage alle einschlägigen Händler angesiedelt.

Am Ende ist es Bremen geworden, denn die örtliche Regierung war bereit, den Tabakhändlern in der Hansestadt Zollfreiheit zu gewähren, unter Umgehung aller damals geltenden Vorschriften. So konnten sie in aller Ruhe ihre im Freihafen anlandende Ware bemustern, ohne für den noch nicht verkauften Tabak schon Abgaben entrichten zu müssen. 1959 wurde der Tabak das erste Mal in Bremen versteigert, 136.405 Ballen für insgesamt 146,7 Millionen Mark.

Der Rest ist post-koloniale Tradition, seit fast 50 Jahren schon. Und vom Aussterben bedroht. Zwei Mal im Jahr wird heute noch versteigert, an jeweils zwei Tagen. Zuerst der billigere Java-Tabak, dann der kostbare Sumatra, der keinesfalls unter 30 Euro pro Kilo rausgeht. Früher haben sie sich acht Mal im Jahr getroffen. Und die Blütezeit des hiesigen Tabakhandels ist noch viel länger her: 1878 führte Bremen 70.000 Tonnen Rohtabak ein, jeder achte Bremer war einmal im Tabak- oder Zigarrengeschäft tätig.

Der langsame Niedergang der Bremer Tabakbörse, darauf legt man hier Wert, er hat nichts mit all den Anti-Rauch-Kampagnen zu tun, mit süchtigen Zigaretteninhalierern will man hier ohnehin nicht in Verbindung gebracht werden. Doch die Zigarren paffenden Altherren in den Salons, sie sterben allmählich aus. Und der bloße Export des Java-Tabak nach Bremen ist auch zu teuer geworden, vieles wird heute direkt vor Ort in Südostasien vertickt, allenfalls die Muster landen noch in Bremen an.

Vesta PPN 200/DMP 2006 ist so ein Java-Muster. Ein Bündel aus trockenen braunen Tabakblättern, zu so genannten „Doggen“ zusammengebunden, auf langen schmalen Holztischen, „Stell“ genannt, nebeneinander aufgereiht. Vesta ist das Boot, dass es verschifft hat, PPN der Name der staatlichen indonesischen Plantagengesellschaft, 200/DMP die Plantage. Das Muster riecht nach Lindenblütenhonig.

Zwei Wochen liegt es zur Ansicht aus, soviel Zeit muss zur Bemusterung bleiben. Die Zigarre im Mund ist dabei unabdingbar, denn eine Brandprobe erst enthüllt den Geruch des Tabaks, seinen Funkenflug, seinen Brand. Doch auch die Farbe der Blätter will geprüft sein, die Löchrigkeit, der Verlauf der Adern, anderes mehr. Am Ende wird der anvsierte Preis vom Experten in ein dafür vorgesehene Buch eingetragen – und verschlüsselt. Die Konkurrenz darf niemals erfahren, was geboten werden wird.

Zweimal verlängern die Indonesier an diesem Tag die Bieterfrist, um jeweils 15 Minuten. Danach leuchtet die rote Lampe. Nichts geht mehr. Die zehn Herren im Kabuff beginnen zu rechnen. Und draußen sitzen die Händler, an einfachen Holztischchen am Rande der Stells. Es ist eine Szene wie im griechischen Straßencafé. Man trinkt Kaffee, man raucht und plaudert. Man kennt sich schließlich, seit Jahrzehnten schon. Und wartet. Gespannt. Am Ende wird Hellmering, Köhne & Co aus Bremen das Rennen gemacht haben. 702 Ballen. Für 1,2 Millionen Euro.