Therapie erfolgreich, Wohnung weg

SOZIALES Wer nach betreutem Wohnen eine eigene Bleibe sucht, wird selten fündig: Der Markt ist dicht

■ Nach Angaben des Soziologen Andrej Holm fehlen in Berlin mittlerweile rund 120.000 günstige Wohnungen mit einer Kaltmiete von bis zu 5,80 Euro pro Quadratmeter. Da die Stadt wächst – allein zwischen 2011 und 2013 um 90.000 Menschen – und nur wenige Wohnungen neu gebaut wurden, steigt der Preis, besonders in Stadtvierteln wie Kreuzberg und Neukölln. Hier können Vermieter bei einer Neuvermietung durchschnittlich 2,63 Euro pro Quadratmeter aufschlagen. Viele Ärmere können sich das nicht leisten. Für Holm ist deswegen klar: „Wir sind auf dem Weg in die Wohnungsnot.“ (tos)

Noch vor fünf Jahren wurden in Berlin Zimmer für 160 Euro angeboten. Vorbei: Selbst in Spandau oder Marzahn werden die Wohnungen knapp, in Kreuzberg verlangen einzelne Vermieter gar 500 Euro für 12 Quadratmeter. Was selbst für Angehörige der Mittelschicht kaum zu schultern ist, wird für Menschen, die aufgrund einer früheren Sucht, einer überwundenen Schuldnerkarriere oder vermeintlich fremden Aussehens zusätzlich diskriminiert werden, zur existenziellen Bedrohung.

So wie für Maik. Mithilfe von betreutem Wohnen der Einrichtung Zuhause im Kiez (ZiK) überwand er seine Alkoholabhängigkeit. Seit vier Jahren ist Maik nun trocken, hat ein Jobangebot und könnte längst wieder selbstständig in einer eigenen Wohnung leben. Könnte, denn: Alle potenziellen Vermieter haben ihm abgesagt.

Die absurde Konsequenz schildert er in einem Video, das am Dienstag auf dem ZiK-Fachtag „(K)ein Zuhause im Kiez“ vor rund 300 Vertreterinnen und Vertretern sozialer Einrichtungen in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen gezeigt wurde: „Ich werde nur weiter betreut, damit ich nicht ausziehen muss.“ Da austherapierte Klienten das betreute Wohnen eigentlich verlassen müssten, wird die Betreuung nur deshalb noch verlängert, damit den Klienten nicht die Obdachlosigkeit droht.

Er sucht seit zwei Jahren

Maik sucht bereits seit zwei Jahren erfolglos nach einer eigenen Wohnung, erzählt er im Video. Das bedeutet zugleich: ZiK kann seinen Betreuungsplatz, den er eigentlich nicht bräuchte, nicht an jene vergeben, die dringend darauf angewiesen wären.

„Die Folge der Wohnungsknappheit ist auch eine Überlastung des sozialen Hilfesystems“, bilanzierte während der anschließenden Diskussion der Stadtsoziologie Andrej Holm. Hauptgrund für die katastrophale Lage ist der unzureichende Wohnungsneubau, während die Berliner Bevölkerung wächst. Besonders Ein- und Zweizimmerwohnungen sind heiß begehrt. Vermieter können nicht nur höhere Preise verlangen, sondern außerdem aus einer großen Zahl von Bewerbern wählen. Wer mit möglichen Problemen in Verbindung gebracht wird, findet nur mit vielen Schwierigkeiten eine Bleibe.

Begehrte Brachen

Benötigt werde ein Neubauprogramm – da waren sich die Diskutierenden aus Politik, Wissenschaft, Sozial- und Wohnungswirtschaft weitgehend einig. Dadurch soll der Druck aus dem Berliner Wohnungsmarkt genommen werden. Christian Thomes, Geschäftsführer von ZiK, warb dafür, den sozialen Trägern ungenutzte kommunale Brachflächen kostenfrei zu überlassen, damit die dort für ihre Klienten selbst Wohnungen errichten können. Eine Planung für ein Modellprojekt in Weißensee hatte ergeben, dass kleine Wohnungen für rund 420 Euro Warmmiete gebaut werden könnten. Bei den Vertretern des Senats stieß der Vorschlag zwar auf Interesse, doch machten sie auch deutlich, dass der Senat stärker auf die städtischen Wohnungsbaugesellschaften setzt, denen er beim Wohnungsbau mehr Kompetenz zutraut.

Klar wurde allerdings auch: Lösungen sind dringend nötig. Bereits jetzt nehmen Konflikte innerhalb der auch auf dem Wohnungsmarkt besonders benachteiligten untersten sozialen Schicht zu. Ingo Malter, Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, berichtete vom Protest einer alleinerziehenden Mutter, die in ihrer Not nicht akzeptieren wollte, dass ein Flüchtling eine Wohnung bekommt, während sie noch nach einer Bleibe sucht. Und Maik, der trockene Alkoholiker, fürchtet, dass die andauernde Perspektivlosigkeit, die ihn psychisch stark belastet, auch seinen Therapieerfolg wiederzunichtemachen könnte.

TOBIAS SAUER