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Archiv-Artikel

Folter für John Travolta

Ist Krieg der Vater allen Punks? Stachelt seine Abwesenheit junge Leute zu tribalistischem Verhalten an? Das Filmfestival „3000 Jahre Punk“ in Moviemento und Lichtblick zeigt Punk, wie er wirklich war

VON ULRICH GUTMAIR

Joe Strummer wäscht im Waschbecken seines Hotelzimmers sein knallrotes T-Shirt. „Was steht denn da drauf?“, fragt Ray. „Brigade Rosse (sic!)“, antwortet Strummer. „Brigade was?“, fragt Ray. „Brigade Rosse, eine Pizzeria“, grinst Strummer erst, um dann zu korrigieren: „Das sind italienische Terroristen.“ Die Szene ist in „Rude Boy“ zu sehen, einem semidokumentarischen Film von 1980. Ray ist ein alter Kumpel der Clash, der nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Erst arbeitet er in einem Pornoladen, dann darf er als Roadie mit auf Tour gehen. Der fiktionale Ray ist dabei der bestmögliche Antagonist zu den echten Clash, weil er die Vermischung von Musik und Politik verabscheut, die sie zu ihrem Markenzeichen gemacht haben. Ray mag weder Studenten noch Kommunisten und findet die National Front nicht so übel. Während Ray als Amateur und Anarchist aber lieber trinkt und vögelt als zu arbeiten, zeigen sich The Clash in „Rude Boy“ wie im wahren Leben als Männer, die Uniformen toll finden, sich mit Boxtraining fit halten, des Nachbarn Tauben erschießen und den antiimperialistischen Kampf und seine Waffen verherrlichen.

Das Problem mit den Clash ist daher für manchen Punkliebhaber seit eh und je ihr faschistoid erscheinendes Soldatentum und ihre Aufstandsrhetorik gewesen. Letztere wurde schon 1979 von den deutschen Clash-Fans Mittagspause in ihrem Song „Innenstadtfront“ satirisch überzeichnet: „Bürgerkrieg in Benrath, weil man die Straße nicht gepflastert hat.“ Zugute halten lässt sich der Clash’schen Militanz aber ihre antirassistische Stoßrichtung. So handelt „Rude Boy“ auch – und zwar oft ohne direkte Verbindung zur erzählten Story – von Anti-Nazi-Demos und von thatcheristischer Politik, die sich im Kampf der Polizei gegen schwarze Kleinkriminelle verwirklicht. „Rude Boy“ ist zwar ein viel zu langer, aber gerade durch seine lakonische Haltung überzeugender Film.

Punker, Popper, Polizei

Dass Pop auch jederzeit als faschistischer Möglichkeitsraum begriffen werden kann, ist bekannt. Hat sich der Blick aber erst mal auf das Problem des Soldatischen fokussiert, zeigt sich auch in vielen anderen Punk-Filmen, die auf dem Festival „3000 Jahre Punk“ im Moviemento und im Lichtblick Kino zu sehen sind, die Liebe zum Motiv des Aufstands, auch gern in seiner individualisierten Form des Amoklaufs. In der „Werkschau Trini Trimpop“ etwa, die so betitelt ist, weil der spätere Tote-Hosen-Schlagzeuger und Manager in allen hier gezeigten Filmen als Autor, Regisseur oder zumindest Produzent in Erscheinung tritt, spielt Militanz keine unwichtige Rolle. In „Die Schlacht an der Hasenheide“ von 1981 schwelgt Trimpop in den Bildern eines Krawalls vor dem Westberliner „Maxim“. Anfangs ist die treffende Schlagzeile von Bild Berlin zu sehen: „Punker, Popper, Polizei: Blutige Schlacht am Hermannplatz“. Was der Anlass des Straßenkriegs ist, bleibt völlig unklar, stattdessen werden die Hitler-Rede zur deutschen Jugend und der Sound marschierender Soldaten eingespielt. „Humanes Töten“ wiederum wird im Festivalprogramm mit Fug und Recht als „bizarres Zeitdokument“ bezeichnet. Hier erscheint die Wehrmacht in Gestalt eines bettelnden, einohrigen und vermutlich echten Kriegsversehrten, der vom Protagonisten erst beschimpft, später reich beschenkt wird. Letzterer ist ein eskapistischer Discogänger, der im Schlachthof sein Geld verdient und abwechselnd mit seiner Gummipuppe und einer arbeitslosen Friseurin, einer oberflächlichen, aber irgendwie doch auch sympathischen Discomieze, schläft. Als sein Kollege, der in einer klamaukhaften Duschszene nackt „Folter für Travolta“ fordert, zum Amokschützen wird, beharrt er noch darauf, dass in dieser Welt doch alles in Ordnung sei. Doch wenig später flippt er selber aus.

Trimpop war auch an der Produktion des großen deutschen Undergroundfilms „Decoder“ beteiligt. „Decoder“ illustriert die kittlerianische Version des alten Schlagers vom „Krieg als Vater aller Dinge“ unter anderem mit schnellen Schnitten von Bundeswehrfilmen zu Ballerspielen. Die Idee eines permanenten Kriegszustands wiederum inszeniert er mittels konsequenter Ausgestaltung einiger kanonischer Texte von William S. Burroughs, die vom Informationskrieg handeln. Den gilt es mit Kassettenrekordern gegen einen fast unsichtbaren Feind zu führen: Die Musikprogramme der Muzak Corporation sorgen in der Fastfoodkette H Burger für Konsumfreudigkeit und Effizienz, während ein diffuser Überwachungsstaat den öffentlichen Raum pausen- und lückenlos überwacht. Dem jungen Infoguerillero FM (FM Einheit) gelingt es aber, den manipulativen Muzak-Sound zu decodieren. Er bastelt mit Hilfe der scheußlichen Töne, die die Todesfrösche seiner Freundin Christiana (Christiane F.) von sich geben, ein Gegentape. Massenhaft kopiert, lässt es sofort den Aufstand losbrechen.

Nicht nur die Gastauftritte von Burroughs und Genesis P-Orridge machen diesen Film zu einer Legende. Die Kameraarbeit von Johanna Heer ist hervorragend, die Beleuchtung radikal, doch wirklich einzigartig machen den Filme seine Schnitte, die von Burroughs’schen Cut-up-Techniken beeinflusst sind. Das Schöne an „Decoder“ ist aber vor allem, dass er die paranoide Junggesellenkriegsmaschine, die er feiert, gleich wieder von einer trocken vor sich hin berlinernden Punkfrau dementieren lässt. Die besten und wahrsten Zeilen des Films darf nämlich Christiane Felscherinow sprechen: „Ach, der große Krieger fühlt sich mal wieder unverstanden.“

„3000 Jahre Punk“ würdigt auch die Arbeit von Wolfgang Büld, der 1977 „Punk in London“ drehte und damit der Nachwelt einige außergewöhnliche Szenen auf Straßen, in Proberäumen und im legendären Roxy überliefert hat. Zu sehen sind hier nicht die üblichen Verdächtigen, Sex Pistols et al., sondern die musikalisch zum Teil weitaus interessanteren Chelsea, Jam, Lurkers und X-Ray Spex. Der Film beginnt mit einem Konzert der Adverts, sie spielen „Gary Gilmore’s Eyes“, und die jungen Leute bewegen sich befreit, anmutig, sexy zur neuen Musik, trinken Wasser und spucken es in Fontänen wieder aus. Es ist ein Bild, das beim Betrachter sofort das Gefühl eines Verlusts provoziert: Hier wäre ich jetzt auch gern.

Punks sind schwul

Büld hat grandiose Konzertaufnahmen und Interviews gemacht, zum Beispiel mit dem Bassisten der Lurkers, der mit seinen Eltern in deren kleinbürgerlichem Wohnzimmer sitzt, während im Fernsehen vermutlich „Top of the Pops“ zu sehen und zu hören ist. Dort spielen die Boomtown Rats, für die der junge Mann nur milde Verachtung übrig hat: Die haben sich verkauft. Andy Czezowsky, der das für die Punkszene zentrale Roxy betrieb und einige der Bands managte, sieht die Sache ähnlich. Mitten im Ausverkauf spricht er davon, dass man die Eintrittspreise niedrig halten müsse – und verliert am Ende gegen eine Industrie, die die antikommerzielle Bewegung in kürzester Zeit auf Warenform gebracht hat.

„Punk in London“ wäre aber nur halb so interessant, dürften nicht auch einige Teds über effeminierte Punks lästern, die wie „ein drittes Geschlecht“, wie „Invasoren von einem anderen Planeten“ aussähen: „Ihre Kultur ist uns fremd.“ Ebendas ist gewissermaßen der antifaschistische Vektor von Punk. Ein Alt- Ted hat auch eine Erklärung parat, warum junge Teds diesen schwulen Punks gern eins aufs Maul hauen: „Was sollen sie machen, wenn es keinen Krieg gibt? Irgendwie müssen sie ihre Energien ja loswerden.“ Und dann hat der Roadie der Clash noch was zu nationalen Befreiungskämpfen zu sagen. In den Farben der Rastas nämlich zeige sich eine Liebe zur Heimaterde: „Grün ist das Land, gelb die Sonne, die auf das Land scheint. Und rot steht für das Blut, das für das Land vergossen worden ist.“ Heil Rasta Far I!

„3000 Jahre Punk“, vom 26. Juli bis 9. August. Programm: www.moviemento.de, www.lichtblick-kino.org