DAS F-WORT: Braves Mädchen
Es ist Freitagabend, wir planen eine Lady’s Night mit einer Freundin aus London. Da wir nicht vor dem Klub anstehen wollen, gehen wir früh los. Auf dem Weg erklärt meine Freundin N., dass sie heute ein gutes Mädchen sein will. In letzter Zeit wurde ihr mehrmals gesagt, sie sei auf Partys zu laut, außer Kontrolle, mit einer aggressiven Tendenz.
Um zwei lächeln wir mit rotem Lippenstift den Türsteher an. Er zögert kurz und wirft uns einen seltsamen Blick durch das kleine, schmutzige Fensterchen in der Tür zu. Dann lässt er uns herein. Bis zur Kasse. Denn noch bevor er unsere Taschen durchsucht, stellt sich der Türsteher mit beiden Händen in den Jeanstaschen vor N. in Positur.
„Hey, weißt du noch, wie du dich letztes Mal hier vor der Tür aufgeführt hast?“, fragt er sie. N. guckt ihn verblüfft an. Sie trägt eine enge Jeans und ein weißes Hemd unter einem dunklen Pullover. Mit ihrem Kragen sieht sie aus wie eine Schülerin. Eine unartige Schülerin, die gerade vom Lehrer ausgeschimpft wird. Sie schweigt und senkt den Kopf. „Du hast mich eine Fotze genannt“, sagt der Türsteher. Er sagt es ganz ruhig. „Eine Fotze nennst du mich nicht zweimal, okay?“ N. entschuldigt sich. Es war nicht so gemeint, sie kann eben keine lange Warteschlangen ertragen. „Ich hab’s gerade meinen beiden Freundinnen hier gesagt: Heute Abend will ich ein gutes Mädchen sein, ich verspreche es.“ Wir nicken, versprechen es auch.
Die Freundin aus London kann die absurde Szene nicht fassen. In jeder anderen Stadt wäre N. auf der schwarzen Liste gelandet und hätte den Klub nie wieder betreten. Die ganze Nacht bleibt N. brav. Sie trinkt und tanzt in Maßen. Mehrmals merken wir, dass der Türsteher sie beäugt. Sie geht früh. Am nächsten Tag frage ich sie, wie es sich denn angefühlt hat, ein gutes Mädchen zu sein. „War schon okay“, sagt N. „Aber lustig ist es nicht!“
MARLENE GOETZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen