: Welt retten statt Welt schwätzen
STREITEN Auf dem Gedöns-Kongress der taz stellen wir uns die Frage, wie das Politische das gute Leben möglich macht – wie hauptsächlich ist das Nebensächliche? Das taz.lab 2015 räumt auf
■ Vier Männer und vier Frauen arbeiten unermüdlich für das taz.lab (Foto, v. r. n. l.): Mareike Barmeyer, 41, Autorin, Jan Feddersen, 57, Journalist, Dmitry Shigaev, 27, Student, Gina Bucher, 36, Autorin, Paddy Bauer, 26, Student, Marion Bergermann, 26, Studentin, Sophie Richter, 25, Juristin und Manuel Schubert, 30, Redakteur.
VON JAN FEDDERSEN
Am 25. April wird das siebte taz.lab stattfinden – wie immer im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Voriges Jahr war der taz-Kongress dem Thema „Europa“ gewidmet. Worum es 2015 gehen könnte, war zunächst nicht ganz klar. Was uns aber ins Auge fiel, war vor allem dies: Selbst als taz schaffen wir es nur schwer, jede Veranstaltung – ob Podium, Workshop, Lesung – mindestens zu quotieren. Wir merkten: Auch die taz, die wie keine andere Zeitung für Geschlechterdemokratie streitet, die feministische oder sexualpolitische Fragen intensiv erörtert hat, muss sich tüchtiger denn je ins Zeug legen, um den eigenen Ansprüchen auf Quote und Parität gerecht zu werden.
So kamen wir auf das Wort „Gedöns“. Das mithin, als das der rot-grüne Kanzler Gerhard Schröder einst alle Politik verstand, die sich um Frauen, Männer, Kinder, Familie, (Homo-)Sexuelles kümmert. Gedöns, nach seinem Verständnis, nichts, Nebensächliches, Auch-zu-Erledigendes. Nichts aber für echte Männer, die sich um Jobs, Wachstumsraten und Dinge wie Kriegseinsätze zu kümmern haben.
Dass man aus „Gedöns“ harte Politik machen kann, haben wir durch Ursula von der Leyen, CDU-Ministerin nach der rot-grünen Ära, erfahren. Debatten über Kitaplätze, Jobquoten für Frauen, Leichtlohngruppen und neue Familienmodelle haben dies belegt. Machen wir also einen Kongress zum Thema „Gedöns“ – weil das Nebensächliche für die meisten Menschen auf dem Hauptsächlichen gründet. Weil es viel zu streiten gibt zu diesen Themen: um ein neues Verständnis von Familie, von Vaterschaft, von Frauen im Beruf, von gläsernen Decken in Betrieben (an die Frauen stoßen, wollen sie ganz nach oben und das nicht schaffen, aller Qualifikation zum Trotz). Kreieren wir einen taz-Kongress, der die „Gesellschaft der Angst“, wie der Soziologe Heinz Bude es jüngst formuliert hat, thematisiert, das Gedönshafte, das eben, was für uns auf keinen Fall unter den Tisch fallen darf: dass ein jeder und eine jede Chancen, also eine gute Zukunft hat, ohne Furcht vor dem Scheitern. Einerseits.
Die taz ist schließlich eine Zeitung, die ihre Impulse aus den sozialen Bewegungen immer bezogen hat – vor allem der der Frauen.
Andererseits haben wir vor lauter Quote, Dosenpfand, Homoehe und Kitafragen die Zertrümmerung der (europäischen) Gesellschaft durch eine menschenfeindliche Wirtschafts- und Sozialpolitik übersehen? Waren wir womöglich zu sehr auf das fixiert, was als „Gedöns“ begriffen wurde? Sind wir, beispielsweise, vor lauter Sprach- und Verhaltenskritik – an Rassismen oder Sexismen – blind geworden für das Wesentliche? Haben wir bei aller Quotendebatte übersehen, dass Familienfragen keine privaten sind, sondern politische in einem viel größeren Kontext? Dass selbst hinter der Frage, wie viele Kitaplätze es geben sollte, marktwirtschaftliche Interessen stehen?
Verbergen sich hinter allen Konflikten in der Welt, die auch die unsere, die alternative Öffentlichkeit beschäftigen – Russland, Türkei, Syrien nur pars pro toto oder die europäische Flüchtlingspolitik – nicht auch jene politischen Gemengelagen, die als „Gedöns“ abgetan werden? Warum eint alle Ultrareligiösen, Putinisten oder Reaktionäre weltweit die Vorstellung, dass die „westlichen“ Länder durch die Anerkennung von Ehen Homosexueller dekadent, faulstichig und verderbt sind?
Haben wir die Verfassung des großen Ganzen vergessen? Und hängt mit dieser Kritik an der politischen Identität der Alternativen nicht auch die grassierende Zukunftsangst weiter Teile der Bevölkerung zusammen?
Wir haben uns schließlich entschieden, das taz.lab dieses Jahres mit einer Frage zu betiteln: „Was wirklich zählt“. Der Gedöns-Kongress also der taz – mit einer Fülle von Debatten über das, worauf es ernsthaft ankommt.
Insofern: Müssen wir innovatives Unternehmertum selbst übernehmen, statt es immer nur zu kritisieren? San Francisco oder Kreuzberg: so viele „Progressive“ und so wenig Progression. Woran liegt das? Die Dynamik in alternativen Milieus dient nicht der Wirtschaft oder dem Weltretten, sondern letztlich nur dem Weltschwätzen. Was wirklich „Gedöns“ ist und was jetzt Priorität hat – das taz.lab 2015 räumt damit auf.
Und: Drei Wochen vor dem taz.lab beginnt die taz täglich mit vier Sonderseiten zu dem Thema „Was wirklich zählt“.
Der Kartenvorverkauf für das taz.lab beginnt Ende Januar. Wir informieren Sie Woche für Woche über den Stand unserer Vorbereitungen in der taz.am wochenende.
■ Jan Feddersen, 57, taz-Autor und -Redakteur für besondere Aufgaben, kuratiert die Kongresse der taz seit 2009