Wer kluge Filme liebt

Einfache Geschichten, ästhetisch wagemutig und unspektakulär erzählt: Damit betört der Kreuzberger Filmverleih „peripher“ sein Publikum seit zehn Jahren. Auf Festivals haben ihre Filme aus Frankreich, Deutschland und Asien oft Preise eingeheimst

VON EKKEHARD KNÖRER

Der Kreuzberger Filmverleih „peripher“ ist ein winziges Unternehmen mit großer Wirkung. In zehn Jahren hat er 47 Filme herausgebracht, und nicht wenige sind darunter, die zu den schönsten gehören, die in Frankreich und Deutschland im letzten Jahrzehnt entstanden sind. Trotzdem ist es in aller Regel einzig „peripher“ zu danken, dass sie in Deutschland überhaupt ins Kino gelangen, mit nicht mehr als ein paar Kopien, aber immerhin. „Wir bekommen die Filme nur“, meint Klaas Köhnke, einer aus dem Sechserkollektiv der „peripher“-Macher, „wenn sich sonst keiner traut.“

Aus Kritikerperspektive ist gar nicht zu begreifen, dass sich nicht alle Welt um diese Filme reißt. Es sind Werke wie der mit der Goldenen Palme ausgezeichnete „Rosetta“ der Brüder Dardenne oder Bruno Dumonts finsteres Provinzdrama „L’Humanité“, aber auch Abdellatif Kechiches großer César-Gewinner „L’Esquive“, der Jugendliche beim Theaterspielen in der Banlieue beobachtet. Wie bei diesen dreien handelt es sich fast durchweg um ästhetisch wagemutige, intelligente, schöne, genaue, kompromisslose, ehrliche, unspektakuläre und genau dadurch betörende Filme. Sie finden, was traurig ist, meist kein großes Publikum hierzulande. Das kleine Publikum, das sie haben, aber machen sie glücklich.

„Drei von uns sechs müssen begeistert sein von einem Film, dann nehmen wir ihn ins Programm“, erklärt Köhnke. Liebe zum einzelnen Film, wie idiosynkratisch er auch sein mag, ist die Voraussetzung. Geldfragen kommen später. Viel ist nicht da, Garantiesummen kann man den Produzenten nicht bieten. Ohne das fsk-Kino am Oranienplatz, aus dem der Verleih hervorging, als Abspielort wären selbst die geringen Kosten nicht finanzierbar. „Für die Fördergremien sind wir zu klein, die lachen nur, wenn wir uns da mit unseren Kleinstbeträgen bewerben“, meint Köhnke.

Mit 5.000 Besuchern sind die Kosten für den Verleih und die Kopien eines Film refinanziert, und fürs nächste Projekt bleibt auch ein bisschen was übrig. Das sind die Größenordnungen. 2001 gab es einen Verleiherpreis vom Bundeskulturministerium, davon spendierte „peripher“ sich und dem Publikum dann eine kleine John-Cassavetes-Retrospektive.

Mit Benoît Jacquots „La fille seule“ fing alles an, damals vor zehn Jahren. Die fskler hatten den Film auf einem Festival gesehen, wollten ihn unbedingt zeigen, aber kein deutscher Verleih kaufte den Film. Also bemühte man sich selbst und bekam zur eigenen Verblüffung tatsächlich die Rechte: Es folgten weitere Lizenzankäufe, der eigene Verleih war geboren.

„La fille seule“ ist schon ganz der typische „peripher“-Film, mit einer einfachen, alltäglichen Geschichte. Die Titelfigur Valérie (Virginie Ledoyen) teilt ihrem Freund mit, dass sie schwanger ist, sie tritt einen neuen Job als Zimmermädchen an und muss sich entscheiden, ob sie das Kind haben will oder nicht. Was den Film aber zum Ereignis macht, ist der Kniff, das alles in Echtzeit zu erzählen. Man sieht Valérie bei der Arbeit im Hotel, man erlebt ihre Entscheidungsnot, Gespräche, Gedanken. Mehr nicht, aber doch eine ganze Welt in neunzig Minuten.

„Es sind langsame, geduldige Filme, mit langen Einstellungen, wenigen Schnitten und ohne Musik, die alles erschlägt“, antwortet Köhnke auf die Frage, wie er selbst den Geschmack des „peripher“-Kollektivs beschreiben würde. Es ist kein Zufall, dass man da sofort an jene deutschen AutorInnenfilme denken muss, die bei der Kritik unter dem Label „Berliner Schule“ laufen. Viele der Regisseure, die man mit dem Namen verbindet, hat „peripher“ im Programm. Angela Schanelec etwa, deren neuer Film „Nachmittag“ im nächsten Monat anlaufen wird, aber auch Henner Wincklers Debüt „Klassenfahrt“ und Valeska Grisebachs ersten Film „Mein Stern“, Christian Petzolds „Wolfsburg“ und die Filme von Thomas Arslan.

Köhnke ist – wie viele der RegisseurInnen selbst – nicht sehr glücklich über das „Berliner Schule“-Label, handelt es sich doch um durchaus unterschiedliche Stile und Entwürfe des Filmemachens. Sehr aufschlussreich ist dabei, wie der Verleih mit seinen anderen Schwerpunkten Frankreich und Asien immer wieder einen Kontext herstellt für das junge Kino aus Deutschland. Ausdrücklich steht das „peripher“-Programm auch quer zum Arthouse-Mainstream mit seinen auf Drehbuchschulen gelernten Konfliktlösungen und allerlei Komödiantischem. „Das sind schon radikale Filme“, darauf sind die „peripher“-Macher durchaus auch stolz. Sie wollen zum Durchgesetzten und Gängigen eine Alternative bieten.

Vielleicht sollte man deshalb überhaupt nicht von der „Berliner“, sondern gleich von einer „peripher“-Schule des Sehens sprechen. Diese Ästhetik ist mit ihren Bezügen auf unterschiedliche Filmsprachen durchaus nicht einförmig. Gerade darum wird einem, sieht man Filme wie Sandrine Veyssets „Martha Martha“, Hirokazu Kore-Edas „Maboroshi“ oder Jacques Doillons „Petits Frères“, sofort klar, dass die dem Alltag zugewandte, ästhetisch kompromisslose Genauigkeit der deutschen Filme ihre internationalen Vorbilder, Geschwister und Geistesverwandten hat.

Zum zehnten Geburtstag feiert der Verleih „peripher“ die eigene Existenz genau so, wie es sich gehört: Vierzehn Tage lang läuft im fsk eine Auswahl aus dem Verleihprogramm. Jeder einzelne der gezeigten Filme ist schlicht und einfach großartig. Wer kluge und schöne Filme liebt, sollte sich also möglichst viele Abende der nächsten zwei Wochen für Besuche in Kreuzberg freihalten.

Die Jubiläumsreihe im fsk beginnt am 20. 9. Das genaue Programm findet sich unter http://www.peripherfilm.de/peri/peri.htm