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Sei Migrant, sei Container

BERLIN PROTZT In der Ausstellung „Route der Migration“ werden Geschichten von der Ankunft in der Stadt und der Kontrolle der Migration erzählt. Doch mit ihren knallroten Containern betreibt sie auch Stadtmarketing

Man möchte Migration facettenreich beleuchten, beauftragt jedoch mit der Recherche zwar qualifizierte, in erster Linie aber umsonst arbeitende Studenten

VON JESSICA ZELLER

Weltweit gibt es schätzungsweise 25 Millionen Container. Güter werden mit ihnen über Landesgrenzen und Ozeane transportiert, Bauarbeiter und Flüchtlinge finden in ihnen ein temporäres Zuhause, selbst trendige Eventlocations setzen auf den Chic der meist nach ISO 668 auf 12,192 x 2,438 x 2,591 m genormten Behälter. Nicht Hamburg, sondern Berlin ist die Hauptstadt der Container. Schaut man genauer hin, so findet man fast in jeder Straße einen oder gleich mehrere Container neben- oder übereinander gestapelt.

Seit Montag sind vier weitere hinzugekommen. Diese Behälter sind knallrot lackiert und bis zum 3. November täglich als Ausstellungsräume geöffnet. Sie stehen auf dem Oranienplatz, vor dem Ostbahnhof, am Halleschen Tor und auf dem Tempelhofer Feld. Ganzflächig prangt auf einer Längsseite in weißen Lettern der Titel des mobilen Museumsprojekts: „Route der Migration“.

„Ich bin richtig stolz. Migration ist endlich da angekommen, wo sie hingehört: in der Mitte der Stadt“, sagt Ausstellungsmacherin Çagla Ilk. „Als ich vor acht Jahren von Istanbul nach Berlin kam, hat niemand über die Geschichte und Erfahrungen der Einwanderer geredet. Jetzt gibt es rote Container, die niemand übersehen kann.“

Jede „Gedächtnisbox“ thematisiert in ihrem Innenraum und an der zweiten äußeren Längsseite einen Aspekt der Berliner Migrationsgeschichte. Am Ostbahnhof geht es um literarische Motive des Ankommens. Die eingesprochenen Texte werden illustriert von Fotografien von internationalen Autoren, die in Berlin und anderen deutschen Städten ansässig geworden sind. Auf dem Oranienplatz findet man Porträt- und Familienfotos türkischer Einwanderer der siebziger und achtziger Jahre aus dem reichen Nachlass des Studios von Charlotte Mathesie aus der Oranienstraße. Dazu gibt es Videosequenzen, in denen Migranten von ihrem gegenwärtigen Leben in Kreuzberg sprechen – zwischen Altwerden und Mieterhöhung.

Am Halleschen Tor wird die Kontrolle, der Migranten in unterschiedlichen Momenten der Geschichte in einer Baracke dort unterworfen waren, beleuchtet. Man sieht Antragsformulare und Dokumente, ein Abc der Migration klärt die Begriffe von Abschiebung bis Zuwanderungsgesetz. Auf dem Tempelhofer Feld schließlich ist der Container innen noch fast leer. Hier sollen in den nächsten Wochen Erinnerungsstücke der Migranten gesammelt und ausgestellt werden.

Mit der Vielfalt schmücken

Stadtgeschichte ist Migrationsgeschichte: Diese Auffassung ist nicht nur in der Museumslandschaft, sondern auch in der Berliner Politik angekommen. Vor dem Hintergrund des 50. Jahrestags des Deutsch-Türkischen Anwerbeabkommens rückt die Geschichte der Einwanderung ins Zentrum der Öffentlichkeit und wird doch ganz unterschiedlich interpretiert. Geht es den einen darum, unerhörte Erfahrungen ins Zentrum zu rücken und den Einfluss der Einwanderer auf die Mehrheitsgesellschaft zu betonen, setzen die anderen dem Ganzen ihren offiziellen Stempel auf. Man schmückt sich mit kultureller Vielfalt.

Bei der Pressebesichtigung der Ausstellung kutschiert dann auch ein Bus knapp fünfzig Journalisten von Container zu Container. Moderiert wird die Fahrt vom Berliner Integrationsbeauftragten Günter Piening. Für die politische Inbesitznahme des Themas spricht auch die teilweise Finanzierung des Projekt über die Mittel der Kampagne „be.berlin“. Dafür ließ man es sich nicht nehmen, überall Infohefte auszulegen und an einer Querseite des Containers auf einem Bildschirm den Werbetrailer „be International“ als Dauerloop zu zeigen.

Die Präsentation des zweifelsohne ausstellungswerten Themas Migration schwankt so zwischen Museum und Marketing. Dabei sind die Prioritäten nicht immer klar. Einerseits setzt man auf plakative Symbole wie rote Container, andererseits sind sie nach weniger als vier Wochen bereits wieder verschwunden. Man möchte Migration facettenreich beleuchten, beauftragt jedoch mit der Recherche und Zusammenstellung des Materials zwar qualifizierte, in erster Linie aber umsonst arbeitende Studenten.

Ob das Thema wirklich dauerhaft öffentlich verankert wird, bleibt abzuwarten. „Die Container sind nur der erste Schritt, ein Pilotprojekt“, erzählt der Historiker Rainer Ohliger vom Netzwerk Migration in Europa e. V. und inhaltlich Verantwortlicher des Projekt. Jetzt gehe es darum, alle Orte der Migration im Berliner Stadtbild zu markieren. „Denn wir haben nicht nur vier, sondern 150 gefunden.“ Bald werde im Internet und an realer Ort und Stelle über diese Orte informiert. Doch noch besticht die Webseite des Projekts durch wenig Text ohne Bilder. Mindestens als App sollte Migrationsgeschichte bald erhältlich sein.

■ „Route der Migration“, an verschiedenen Orten 10. 10. 11 bis 3. 11. 11 Di.–So.: 11–17.30 Uhr, Eintritt frei. www.route-der-migration.de

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