: Reich, aber nicht sexy
URBANITÄT Südlich des Spittelmarkts entsteht ein schickes Quartier, in dem es kaum noch Geschäfte gibt. Bezirk und Architekten schieben sich den Schwarzen Peter zu. Für Stadtforscher ist es ein Hinweis, dass Käufer teurer Wohnungen ihre Ruhe haben wollen
■ Der Wohnungsbau in der Hauptstadt zieht an. 2014 wurden in Berlin Baugenehmigungen für rund 20.000 Wohnungen erteilt. Zur gleichen Zeit wurden 8.000 Wohnungen fertiggestellt. Bis zum Ende der Legislaturperiode 2016 will der Senat 30.000 neue Wohnungen errichtet haben.
■ Die meisten davon, rund 60 Prozent, werden von privaten Bauherren gebaut – und sind entsprechend teuer, wie das Beispiel Spittelmarkt zeigt. Doch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben aufgeholt. 30 Prozent des Neubaus gehen inzwischen auf ihre Rechnung, 10 Prozent bauen die Genossenschaften.
■ Um die Zahl der landeseigenen Wohnungen zu erhöhen, kaufen die sechs landeseigenen Gesellschaften selber Wohnungen auf. Die Zahl dieser landeseigenen Wohnungen soll auf 400.000 erhöht werden.
■ Um preisgünstige Wohnungen zu bauen, gibt das Land bis 2016 320 Millionen Euro aus. Das reicht zur Subventionierung von 1.000 Wohnungen im Jahr. Doch nur wenige private Investoren nehmen das Angebot an. (wera)
VON UWE RADA
Eine Erdgeschosszone, die wie ein Bunker wirkt, schmale Fenster wie Schießscharten, wo sonst Schaufensterscheiben sind – ist das die neue Urbanität? Sechs Baublöcke mit 122 schicken Eigentumswohnungen umfassen die Beuth-Höfe zwischen Seydelstraße und Beuthstraße in Mitte, aber es gibt genauso wenige Geschäfte wie in einem Plattenbaublock in Marzahn. Die Beuth-Höfe sind damit so etwas wie ein Muster für das neue Quartier, das seit einiger Zeit südlich des Spittelmarkts entsteht: reich, aber wenig sexy.
Wenn Kristina Laduch die Beuthstraße vor Augen hat, fällt ihr wenig Positives ein. „Von einem lebendigen Stadtquartier kann keine Rede sein“, sagt die Leiterin des Stadtplanungsamtes in Mitte. „Die Investoren wollen hier nur noch Wohnungen bauen, Läden rechnen sich offenbar nicht mehr.“
Tatsächlich bietet der Anblick auf die Beuthstraße ein eher trostloses Bild. Dort, wo sonst die Glasfronten der Geschäfte für Bäckereiketten, Boutiquen oder Drogeriemärkte werben, reiht sich ein sogenanntes Sockelgeschoss neben das andere. Hinter den unwirtlichen Erdgeschossen verbergen sich Mehrzweckräume, Haustechnik, Fahrradabstellplätze. Über dem Sockelgeschoss, im Hochparterre, beginnt schon die Wohnnutzung.
„Die Beuth-Höfe“, heißt es im Projekt der Groth-Gruppe, dem Investor des Quartiers, „das ist ein neues urbanes Quartier am Spittelmarkt in Berlin.“ Kristina Laduch sagt: „Das ist ein Getto der Reichen hinter der sozialistischen Fassade der Leipziger Straße geworden.“
Neues steriles Stadtviertel
Die Beuth-Höfe sind nicht das einzige Bauprojekt, das im neuen Quartier südlich des Spittelmarktes entstanden ist. An der Ecke Alte Jacobstraße zur Kommandantenstraße nehmen die Fellini-Residences für sich in Anspruch, die Eleganz von Rom oder Mailand zu verbreiten – mit einem von Arkaden und Säulen umfassten Eingang zum Innenhof. Zwischen der Seydelstraße und der Elisabeth-Mara-Straße erstreckt sich das Domus-Quartier, ebenfalls mit dem Anspruch gehobenen Wohnens. Schließlich die „Neue Mitte“ an der Neuen Grünstraße. Allen Vorhaben gemeinsam ist wie an der Beuthstraße, dass sie gänzlich ohne Ladenflächen auskommen. Die Architektur des neuen, gehobenen Wohnens geht damit deutlich auf Distanz zur sie umgebenden Stadt und ihrer Öffentlichkeit.
Kristina Laduch, die schon seit 1987 – damals als Architektin des Stadtbezirks – die Entwicklung von Mitte mitgestaltet, erinnert sich noch gut an den Immobilienboom nach der Wende. „Damals wurden vor allem Bürobauten hochgezogen“, sagt sie. „Als Bezirk haben wir immer gefordert, dass zum Beispiel rund um die Friedrichstraße auch Wohnungen gebaut werden müssen. Denn nur eine gemischte Stadt ist auch eine lebendige Stadt.“ Heute sei die Situation dagegen genau andersrum. „Weil gehobenes Wohnen inzwischen mehr Rendite verspricht, muss ich als Bezirk in mühseligen Verhandlungen den Investor davon überzeugen, mehr Geschäfte unterzubringen.“
Doch das sei schwierig, räumt Laduch ein. „Es gibt für dieses Quartier am Spittelmarkt keinen Bebauungsplan. Wenn der Bauträger keine Geschäfte will, haben wir keinerlei rechtliche Möglichkeiten, ihn dazu zu zwingen.“ Tobias Nöfer ist der Architekt der Beuth-Höfe, auch er hätte gern mehr Läden eingeplant. Doch das war von der Groth-Gruppe als Bauherr nicht vorgesehen. „Wir haben uns dann für einen Kompromiss entschieden. An der Seite, wo die Beuth-Höfe an die Seydelstraße grenzen, gibt es Einzelhandel. An der Beuthstraße haben wir darauf verzichtet.“ Zur Begründung weist Nöfer darauf hin, wie schwierig es sei, Geschäfte in Straßen zu vermieten, in denen es keine Laufkundschaft gibt. „Was ist, wenn nach einem halben Jahr immer noch das meiste leer steht?“, fragt er. „Im Zweifel“, so die Antwort Nöfers, „ist es besser, ein Sockelgeschoss zu haben als leere Läden.“
Kein Bebauungsplan
Für Nöfer liegt die Verantwortung für die Entwicklung des neuen Viertels auch beim Bezirk. „Hätte es da einen Bebauungsplan gegeben, hätte man die Ladennutzung in den Erdgeschossen festschreiben können.“ Aber auch ohne B-Plan, so Nöfer, hätte man Druck auf die Eigentümer ausüben können. „Das ist dann halt Sache informeller Verhandlungen. Kein Bauherr will schließlich, dass sich sein Bauvorhaben verzögert.“
Fast tausend neue Wohnungen entstehen derzeit zwischen Spittelmarkt und Bundesdruckerei, bezahlbares Wohnen ist nicht darunter. Vielmehr verbreiten viele Projekte die Botschaft von Exklusivität und Stil. „Viele Dichter und Baukünstler des 19. Jahrhunderts haben sich in Italien inspirieren lassen und die Stadt an der Spree zu einer italienischen Enklave gemacht“, heißt es etwa im Prospekt der Fellini-Residences.
Diese Tradition soll an der Kommandantenstraße wieder aufleben. Eine 204 Quadratmeter große Wohnung kostet knapp 1,1 Millionen Euro, also etwa 5.000 Euro pro Quadratmeter. Für Interessenten wird ein „Chauffeurservice“ angeboten.
In den Beuth-Höfen wird derzeit eine 133 Quadratmeter große Wohnung der „gehobenen Kategorie“ für knapp 5.600 Euro den Quadratmeter angeboten. Ist Gewerbe für eine solche Klientel schlicht ein Störfaktor? Mindert gar die Filiale einer Bäckereikette den Wert der Immobilie?
KRISTINA LADUCH, BEZIRK MITTE
Architekt Nöfer widerspricht. „Die, die hierherziehen, wollen doch selbst um die Ecke einen Kaffee trinken.“ Für ihn ist das Ganze kein kulturelles Thema, sondern schlicht eine kaufmännische Rechnung.
Außerdem beklagt der Architekt, dass es der Politik noch immer nicht gelungen sei, den Spittelmarkt umzugestalten. „Das ist doch immer noch eine Autoschneise, wie soll denn da ein lebendiges Viertel entstehen?“
Störfaktor Gewerbe
Ganz anders sieht das Cordelia Polinna. Die Stadtforscherin von „Think Berlin“ hat beobachtet: „Für diejenigen, die in solchen Projekten eine Wohnung kaufen, ist ein Bäcker ein Störfaktor. Damit assoziiert man Lärm, Verkehr, Unsicherheit.“ Polinna glaubt daher: „Ein monofunktionales Quartier verkauft sich besser als ein gemischtes.“
Am Spittelmarkt ist also der Trend für das neue, innerstädtische Wohnen zu beobachten. „Die gemischte Stadt ist noch das Leitbild der Stadtplaner, doch die Realität sieht anders aus“, sagt Polinna. „Die neuen Bewohner wollen zwar Restaurants, aber nicht in ihrem Umfeld.“ Für die Forscherin gibt es nur einen Ausweg. „Im Zweifel muss man sich die Mühe machen, einen Bebauungsplan aufzustellen.“
Für den Spittelmarkt kommt das zu spät, und Kristina Laduch muss deshalb immer wieder mit den Eigentümern verhandeln. „Immerhin“, freut sie sich, „ist es uns gelungen, beim neuen Quartier Pandion an der Kreuzung ein Café unterzubringen.“