Die ultimative Tätowierung

RÜCKEN & SCHWEINE „Tim“ ist ein Tattoo, das als umstrittene Konzeptkunst schon mal im Louvre ausgestellt wird und demnächst auch in Hamburg. Das Werk und seine Rezeption erzählen viel über die mediale Welt

Demnächst wird „Tim“ nach Hamburg kommen. Dann wird die Diskussion wieder losgehen, werden die Boulevard-Medien kommen und die Fernsehsender. Das „lebende Kunstwerk“, wird es heißen, aber da fängt das Missverständnis schon an.

„Tim“ ist ein großformatiges Tattoo, gestochen auf den Rücken eines gewissen Tim Steiner, nach einem Motiv von Wim Delvoye. Der Belgier gilt manchen als „Skandal-Künstler“, spätestens seit er mal Schweine tätowiert und ausgestellt hat. „Tim“ hat er auch verkauft, für 150.000 Euro, über eine Galerie – an den Hamburger Kunstsammler Rik Reinking. Für die Schweine, sagt der, hätte er sich „nie interessiert“. Tim aber ist so etwas wie die „ultimative Arbeit“ in seiner Sammlung. Es sollte sogar mal ihr Schlussstein werden.

„Die Schweine wurden nie gefragt“, sagt Reinking. Steiner, aber, ein Schweizer, der im sonstigen Leben Musiker ist, sei ein „wacher Geist“. Und habe sich „ganz bewusst“ für dieses Kunstwerk entschieden. Im Gegenzug bekam er nach eigenen Angaben 80.000 Schweizer Franken – und sehr viel Öffentlichkeit. Er war schon mal im Louvre ausgestellt, in Tasmanien, und in Bremen. Da sitzt er dann, auf einem Sockel, wird befragt, begafft, gefilmt und fotografiert. Steiner findet all das „äußerst spannend“ – solange es ein „gewisses Niveau“ hat.

Ein 30-seitiger Vertrag regelt alle Details und Steiner, ein Enddreißiger wie Reinking, hat auch schon mal testamentarisch festgelegt, dass seine Haut nach dem Tod abgezogen, gegerbt und aufgekeilt wird. „Das ist sein Wunsch“, sagt Reinking, für den es auch okay wäre, wenn es anders kommt.

Das bunte Motiv mit der Madonna und dem Totenkopf interessiert den Sammler gar nicht, und der „Besitzerstolz“ auch nicht. Oder „das Superlativ“. Er habe es nicht wegen, sondern trotz der damit verbundenen Aufmerksamkeit gekauft, sagt Reinking. War ja klar, dass Tim polarisieren würde. Manche finden das Werk unmoralisch, halten Steiner für einen Freak, Clown oder Prostituierten. Aber darum geht es gar nicht. Es geht um die Bedeutung, die mediale Öffentlichkeit heute hat. Und was einer dafür zu tun bereit ist.

Steiner sagt einfach, er hat seinen Rücken verkauft. Als Leinwand. Für die Vision des Künstlers. Anders als seine anderen Tätowierungen wird es aber immer weniger ein Teil von ihm, erzählte er mal in einem Interview mit dem Schweizer Tages-Anzeiger. Ganz im Gegenteil: Der Rücken „verselbständigt sich“, sagt Steiner – „und ich hänge mit dem Rest meines Selbst dran“. Mit Delvoye ist er heute befreundet, und mit Reinking auch.

In Oldenburg geboren, hat Reinking 1992 sein erstes Kunstwerk gekauft, auf dem Heimweg von der Schule – ein Selbstbildnis von Horst Janssen, für 250 Mark. Seither sammelt er die Kunst des Fluxus und Minimalismus, Konzeptkunst und Urban Art, jedenfalls aber Gegenwartskunst. An Tim interessiert in vor allem dieser Gegensatz – zwischen dem, was gemeinhin als „High Art“ und „Low Art“ gilt. „Für mich gibt es diesen Unterschied, diese Wertung gar nicht“, sagt der Sammler. Für seine Umwelt aber schon, und erst recht für die distinguierte bildungsbürgerliche Kunstwelt. Und so funktioniert „Tim“ vor allem in den White Cubes arrivierter Ausstellungshallen, neben Bildern, Skulpturen all jener KünstlerInnen, die eh schon museal geadelt sind.

Einmal wollte Tim versteigert werden, am besten bei Christie’s oder Sotheby’s. Um zu sehen, was er so Wert ist, am Markt. Das brachte Reinking ziemlich in die Bredouille. Weil: Reinking ist einer, der sich eher als Beschützer der Kunst versteht. Dieses Machtding widerstrebt ihm sehr, und die Idee, mit „Tim“ viel Geld zu verdienen auch. Und es wäre sicherlich viel Geld geworden. Sie haben sich am Ende darauf geeinigt, es doch sein zu lassen.

Die meisten würden sagen, dass Tim von seinem Sammler abhängig ist. Für Rik Reinking ist es eher umgekehrt.  JAN ZIER

■ 11. + 12. 4. sowie 27. + 28. 6., jeweils 14–17 Uhr, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe