Das Verschwinden einer Geschichte

GEDENKEN Das Grab der lesbischen Frauenrechtlerin und Dichterin Hilde Radusch ist einer der wenigen Erinnerungsorte für die nichtheterosexuelle Frauengeschichte Berlins. Sein Bestand ist jetzt bedroht

Erinnerungsorte für die schwule Geschichte Berlins sind im Stadtbild prominent vertreten. Lesbische Geschichte ist in Berlin hingegen beinahe unsichtbar. Dagegen kämpft die Berliner Organisation „Frauentouren“. Als Mitglied des Netzwerks „Miss Marples Schwestern“ widmen sich die Aktivistinnen seit 1990 dem Ziel, Frauengeschichte vor Ort, darunter auch Lesbengeschichte, sichtbar zu machen. Im Jahr 2001 wurde ihre Arbeit vom Senat mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnet.

Die stärkere Präsenz der Geschichte schwuler Männer, verglichen mit der lesbischer Frauen, ist auch beim Gang über den Alten St.-Matthäus-Kirchhof zu erleben. Der Friedhof inmitten des Schöneberger Homo-Kiezes hat sich seit den späten neunziger Jahren zu einem Ort der Bestattung von Menschen entwickelt, die Aids hatten. Und wurde somit in den letzten 20 Jahren zu einer Art schwulem Zentralfriedhof Berlins. Lesbische Frauen liegen hier eher selten, prominentere Vertreterinnen lesbischer Geschichte noch seltener.

Lediglich das Grab von Hilde Radusch, die hier 1994 bestattet wurde, sticht hervor – ein Kleinod der Lesbengeschichte, so die Historikerin Ilona Scheidle. Die 1903 geborene offen lesbische Frauenrechtlerin, antifaschistische Widerstandskämpferin, Journalistin und Dichterin hatte unter anderem mit ihrer Freundin Else Klopsch 1941 ein kleines Restaurant im Scheunenviertel eröffnet, das Illegalen als Unterschlupf diente.

2014 lief die Liegezeit für das Grab von Hilde Radusch ab. Friedhofsverwaltungen ebnen solche Grabstätten ein, wenn die Angehörigen die Liegezeit nicht verlängern. Davon war auch das Grab Hilde Raduschs bedroht, womit einer der wenigen Orte Berlins für lesbisches Gedenken überhaupt verschwunden wäre.

Aktivistinnen des Netzwerks „Miss Marples Schwestern“ sicherten nun den rechtlichen Bestand des Grabes – vorerst. Für Friedhofsgebühren und die Pflege der Anlage werden jedoch weiterhin dringend Spenden benötigt. Sonst würden nur noch unscheinbare Gedenktafeln an der Straßenkreuzung Eisenacher Straße/Winterfeldtstraße an Hilde Radusch erinnern.

DMITRY SHIGAEV

■ Benefizveranstaltung & Vortrag über Hilde Radusch heute, 19 Uhr, Schwules Museum Berlin