Schwanger, nicht krank

LEBEN Ina May Gaskin ist die berühmteste Hebamme der Welt. Jetzt bekommt sie den alternativen Nobelpreis

 Der Termin: Am Montag wird in Stockholm der alternative Nobelpreis – offiziell: Right Livelihood Award – vergeben. Es gibt vier Preisträger: die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Jacqueline Moudeina aus dem Tschad, den Kleinbauernverband Grain, den Klimaaktivisten Huang Ming und die Hebamme Ina May Gaskin.

 Die Ziele: Wie wichtig das Anliegen ist, dass Kinder sicher zur Welt kommen und Mütter nicht sterben, hat auch die UNO erkannt. Deshalb hat sie 1990 als eines von acht Millenniumszielen proklamiert, dass die Müttersterblichkeit bis 2015 weltweit um drei Viertel gesenkt werden soll. Es ist unsicher, ob das Ziel erreicht wird.

VON WALTRAUD SCHWAB

Als Ina May Gaskin in den siebziger Jahren begann, Frauen bei der Niederkunft zu unterstützen, war der Hebammenberuf in vielen Bundesstaaten der USA illegal. In einigen ist er es bis heute. Gaskin hat sich nicht einschüchtern lassen. Etwa 3.000 Kindern hat sie auf die Welt geholfen, erzählt sie am Telefon. Ihre Bücher zu natürlichen Geburtsmethoden wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Heute gilt sie vielen als berühmteste Hebamme der Welt. Am Montag bekommt sie in Stockholm den alternativen Nobelpreis – für ihr Lebenswerk.

Hebamme wurde Gaskin, weil sie ein Trauma erlebte, als ihre erste Tochter geboren wurde – Mitte der sechziger Jahre. Sie war zur Entbindung ins Krankenhaus gegangen. Eigentlich sei es ihr gut gegangen, selbst als die Wehen einsetzten. „Ich war wie in Trance.“ So konnte sie ohne Angst mit den Schmerzen umgehen. Sie sei auf einem Bauernhof aufgewachsen und hätte Geburt dort immer als etwas Normales erlebt. Diesem normalen Lebensfluss habe sie sich hingegeben.

Plötzlich aber seien Ärzte in den Kreißsaal gestürmt, hätten ihren Rhythmus gestört, ihr Damm wurde aufgeschnitten, gewaltsam wurde das Kind mit der Geburtszange geholt. „Ich fühlte mich wie in einer mittelalterlichen Folterkammer. Überall Blut.“ Den ersten Tag durfte sie das Kind nicht sehen. „Am Ende musste ich meine Folterer noch bezahlen.“ Denn eine gesetzliche Krankenversicherung gibt es in den USA bis heute nicht wirklich.

Hinter dem, was Gaskin drastisch schildert, verbergen sich zwei unterschiedliche Auffassungen. Die eine sieht Schwangerschaft und Geburt im Rahmen von Krankheit. Die andere sieht Schwangerschaft und Geburt als normalen Entwicklungsprozess des Lebens. Gaskin – damals, als ihre Tochter zur Welt kam, noch Literaturstudentin – wurde eine entschiedene Verfechterin der natürlichen Geburt, bei der Gebärende von sachkundigen Frauen oder auch Männern gestützt, aber nicht bevormundet werden. Als sie selbst ihr zweites Kind zur Welt brachte, war kein Arzt mehr dabei.

Die unterschiedlichen Konzepte in Bezug auf Gebären und Geburt prallen nicht nur in den USA aufeinander. So wird beobachtet, dass es in vielen Industrienationen, aber auch in China und Indien immer mehr Kaiserschnitte gibt. In Deutschland kamen 2010 fast ein Drittel aller Kinder nicht im Kreißsaal, sondern im Operationssaal zur Welt. Anfang der neunziger Jahre waren es fünfzehn Prozent – eine Quote, an der sich die Weltgesundheitsorganisation in ihren Empfehlungen orientiert.

Geburtsmedizin oder Geburtshilfe – die unterschiedlichen Positionen scheinen sich eher zu verhärten als zu ergänzen. Auch in Berlin steht die schwierige Situation der Hebammen derzeit auf der Agenda. Am 30. November protestierten Geburtshelferinnen vor dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV, um höhere Vergütungspauschalen einzufordern. Vor allem die in den letzten drei Jahren um 300 Prozent gestiegene, vorgeschriebene Geburtshaftpflichtversicherung, die jetzt 3.800 Euro im Jahr kostet, ist für viele Hebammen nicht mehr zu finanzieren.

Hebamme ohne Geburt

„Ich fühlte mich wie in einer mittelalterlichen Folterkammer. Überall Blut. Am Ende musste ich meine Folterer noch bezahlen“

INA MAY GASKIN

Deshalb bieten viele Hebammen nur noch die Schwangerschaftsbetreuung und die nachgeburtliche Versorgung an, den Höhepunkt, die Niederkunft, aber können sie nicht mehr begleiten. „17,2 Geburten müssen wir betreuen, um nur das Geld für die Versicherung zu verdienen. Vorher waren es 5,5 Geburten“, sagt Birgit Große, die Kreisvorsitzende der Hebammenvereinigung des niedersächsischen Landkreises Rotenburg (Wümme).

Sie ist zum Protest nach Berlin gekommen und berichtet von Arbeitszeiten zwischen 60 und 70 Stunden, von Mangel an Wertschätzung, von zunehmender Verunsicherung der Schwangeren, gefördert durch die neue medizinische Diagnostik. „Es werden immer neue Defizite definiert, die das Ungeborene haben könnte, aber heilen kann man sie ja nicht“, erklärt eine andere Hebamme auf der Demonstration. Wenn die Frauen die Untersuchungen aber nicht machen ließen, würde ihnen die Schuld zugewiesen, wenn ein gehandikaptes Kind zur Welt käme. „Die ganze Entwicklung ist aus dem Lot.“ Mittlerweile sei es schwer für Schwangere, Hebammen für Hausgeburten zu finden, es sei denn, die Schwangeren zahlten die hohe Versicherungsprämie für ein, zwei Monate rund um den Geburtstermin.

Ann Marini, Pressesprecherin beim Spitzenverband der Krankenkassen GKV, sieht das Problem so nicht. Die steigende Zahl zugelassener Hebammen zeige, dass es keine Unterversorgung gebe. Das Angebot der Kassen, über das nach der Demonstration verhandelt wurde: Um 1,98 Prozent höhere Sätze. Die Höhe lege der Gesetzgeber fest, sagt Marini. Die Hebammen brachen die Verhandlungen ab.

Ina May Gaskin wurde Hebamme, weil sie nach dem Trauma ihrer ersten Niederkunft etwas anderes wollte und Gebärenden von da an einfach half. Eine Zeit lang zog sie als Hippie im Wohnwagen durch die Staaten, bevor sie in Tennessee die sozialistische Kommune „The Farm“ mit gründete. Dass Kinder geboren werden, gehörte zu diesem Leben dazu. Heute ist Gaskin die große Vordenkerin für einen anderen Umgang mit Geburt in einem Land, dessen Säuglingssterblichkeit im Jahr 2010 nach Angaben der Vereinten Nationen – trotz klarer Favorisierung der klassischen Medizin – an 34. Stelle hinter Kuba liegt und steigende Tendenz zeigt. Und auch die Müttersterblichkeit – vor allem unter armen, nicht versicherten Frauen – ist in den USA so hoch, dass Amnesty International Alarm schlägt.