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„Ein gewisser Protestantismus“

Entweder sie bauen Lübecks Altstadt um oder sie stellen funktionalistische Single-Häuser in die Dörfer: Schleswig-Holsteins Architekten changieren zwischen Sanierung und skandinavischer Moderne. Ulrich Höhns, Herausgeber des schleswig-holsteinischen Architektur-Jahrbuchs, erklärt warum

ULRICH HÖHNS, 53, hat an der Hamburger HfBK Architektur studiert und ist seit vielen Jahren freier Architekt und Historiker. Außerdem leitet er das schleswig-holsteinische Architektur-Archiv.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Höhns, welches ist das Spezifikum der schleswig-holsteinischen Architektur?

Ulrich Höhns: Es gibt keins. Die hiesige Gegenwartsarchitektur orientiert sich an der Moderne.

Gibt es nicht Formate – Pragmatismen –, die man hier lieber benutzt als anderswo? Weniger Verspieltes als im katholischen Bayern etwa?

Ja, in einigen Formen drückt sich schon ein gewisser norddeutscher Protestantismus aus. Aber eigentlich erleben wir derzeit den Versuch, in einen ländlich-kleinstädtischen, sich in Richtung Hightech entwickelnden Raum eine Architektur hineinzutragen, die sich an überregionalen Standards orientiert. Unser Architekturjahrbuch zeigt ja, dass der Fokus auf Um- und Weiterbauten liegt. Auch das ist nicht typisch schleswig-holsteinisch, sondern es ist einfach so, dass die Architekten derzeit mehrheitlich mit dem Bestand befasst sind. Die intelligente Auseinandersetzung mit dem Alten hat heute Vorrang.

Wann haben die Schleswig-Holsteiner angefangen, sich architektonisch an die Moderne anzupassen?

Das war – nach ersten Experimenten in den Fünfzigern – in den achtziger Jahren. Da gab es einen Generationenwechsel und infolgedessen eine architektonische Neuausrichtung. Man trachtete nicht mehr – wie noch in den 50er, 60er Jahren – ländliche Formen weiterzuentwickeln, sondern setzte auf die Moderne. Und da ist es schon ungewöhnlich bis provokativ, ein funktionales, eigenwilliges Einpersonenhaus wie das bei Plön in ein Allerwelts-Neubaugebiet am Dorfrand zu setzen.

Warum eigentlich wird in Schleswig-Holstein vor allem im Altbestand gebaut? Fehlt das Geld für Neubauten?

Die Antwort ist schlicht: Die Welt ist bebaut. Die Städte wachsen nicht mehr, und deshalb findet inzwischen eher eine Expansion innerhalb bestehender Gebäude statt. Oder deren Ausbau. Nehmen Sie zum Beispiel das Seehafengebäude in Kiel. Man sieht ihm nicht an, dass hier ein Waschbeton-Gebäude um fünf Geschosse aufgestockt wurde. Oder das St. Annen-Museum in Lübeck: Hier fand eine Implantation in ein Gebäude statt, von dem nur noch Fragmente standen. Das hat man nicht einfach irgendwie weitergebaut, sondern einen künstlerischen Akzent gesetzt, der sich von über-subtilen Lösungen entfernt und das Ganze etwas ruppig macht. Der Nahtstellen deutlich zeigt.

Aber diese Ruppigkeit kann auch bedeuten, dass das Alte nur noch als Kulisse, als Disneyland-artiges Zitat erscheint.

Das ist hier nicht der Fall. In St. Annen wurde sehr behutsam gearbeitet. Und der Versuch, die Fragmente zu integrieren statt zu inszenieren, ist gelungen.

Ist das ein Trend: die nicht mehr behutsame, sondern selbstbewusste Modernisierung?

Beides existiert. Es gibt auch einige Büros in Schleswig-Holstein, die das behutsame Modernisieren sehr gut beherrschen – vor allem im Lübecker Raum.

Wovon hängt ab, ob man behutsam oder beherzt in alte Bausubstanz eingreift?

Von dem, was der Auftraggeber mittragen kann. Hier muss der Architekt viel Überzeugungsarbeit leisten, denn etliche Auftraggeber halten einen Neubau für die beste Lösung.

Die Architekten mutieren also zu Denkmalschützern?

Wenn sie gut sind, ja.

Bei vielen Modernisierungen setzt man Glas und Stahl ein, um die alten Strukturen zu zeigen. Das wirkt weniger kreativ als dienend.

Sowohl als auch. Wenn man zum Beispiel die Lübecker Altstadthäuser betrachtet, die wir in unseren Band aufgenommen haben, dann muss man wissen, dass nur dort eingegriffen wurde, wo die alte Substanz nicht mehr haltbar war. Da hat man das Verlorene durch Glas und Stahl kenntlich gemacht. Diese Häuser stammten teils aus dem 15. Jahrhundert. Und so ein Gebäude in der Struktur zu belassen und dort intelligent zu ersetzen, wo es mit authentischem Material nicht möglich ist – das ist die eigentliche Leistung.

Aber oft bleibt nur die Fassade. Ist das nicht Potemkin?

Es stimmt, dass das gelegentlich praktiziert wird. Vom ehemaligen DAG-Haus in Hamburg etwa bleibt nur die die Fassade stehen, und innen ändert sich fast alles.

Auch beim Kaispeicher A, auf den die Elbphilharmonie gestellt wird.

Ja, auch der Kallmorgen-Speicher ist nur noch ein Torso. Die Beispiele, die wir aus Schleswig-Holstein zeigen, sind aber das Gegenteil davon. Hier ist man so behutsam wie möglich mit der Substanz umgegangen. Sie ist statisch integriert worden, soweit es möglich war. Und was die Glas-Stahl-Konstruktionen betrifft, ist es inzwischen Standard, in denkmalgeschützte Häuser moderne Stahlglas-Fenster einzusetzen. Man will kenntlich machen, dass sich hier etwas Neues tut. Der Kontrast ist gewollt.

Aber ist das schon so lange währende Beharren auf Glas und Stahl nicht Ausdruck einer Ideologie? Es gibt ja auch andere Materialien.

Das stimmt. Aber bei Altbauten entfalten Glas und Stahl die beste Kontrastwirkung.

Ist man verpflichtet, den Kontrast zu zeigen? Man könnte ja auch unauffällig sanieren.

Das gibt es natürlich auch. Aber das zu zeigen war nicht Ziel unseres Jahrbuchs, weil bei einer solchen Sanierung die kreative Leistung derer, die sie tätigen, verschwindet. Der subtile Eingriff ist eine ganz andere Form von Sanierung. Und die wird bei hochsensiblen, historisch wertvollen Gebäuden natürlich auch praktiziert. Aber das ist dann eher eine restauratorische Leistung. Das sind Fälle für die Denkmalpflege. Wir haben eher nach kreativen Leistungen geschaut.

Gut. Sprechen wir über das provokative Einpersonen-Haus aus dunklem Holz bei Plön. Es sieht sehr skandinavisch-funktionalistisch aus. Auch das Sprenger Wohnhaus könnte in Finnland stehen. Greifen schleswig-holsteinische Architekten gern auf nordeuropäische Traditionen zurück?

Vielleicht. Das liegt aber vor allem daran, dass der skandinavische Stil sehr klar ist. Diese Gebäude fügen sich auch leicht in die Landschaft ein, weil sie mit Holz arbeiten und so, wie sie in der Landschaft stehen, eine gewisse Selbstverständlichkeit haben. Aber auch das kann man nicht unbedingt nordisch nennen. Solche Häuser stehen auch in den Niederlanden, Belgien, den USA und in der Schweiz.

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