: „Ich fahr‘ in London nicht mehr Auto“
Peter Ainsworth ist Großbritanniens Schatten-Umweltminister. Er kämpft für das Klima. Und die Konservativen
Geboren: 16. November 1956. Beruf: Abschluss in Oxford in Englischer Literatur- und Sprachwissenschaft (MA). Arbeitete zunächst als Banker, von 1986 bis 1994 Mitglied des Gemeinderats in London Wandsworth. 1992 für die Tories ins englische Parlament gewählt. Perspektiven: Falls die Konservativen die nächste Wahl in England gewinnen (Termin steht noch nicht fest), wird Ainsworth unter David Cameron Staatssekretär für Umwelt, Ernährung und Landwirtschaft. Größter Öko-Erfolg bisher: Ein Heckenschutzprogramm, nach seiner Wahl zum Abgeordneten 1992 im Parlament als private Initiative eingebracht, doch zunächst niedergestimmt und schließlich in den letzten Tagen von Premier John Majors Amtszeit 1997 verabschiedet – gegen die Interessen der Landwirtschaft. Markenzeichen: Erminprude, eine schwarz-weiß gefleckte Plastik-Kuh, erworben in seinem Wahlkreis, die in seinem Londoner Büro ein neues Zuhause gefunden hat. Zum taz-Gespräch traf sich Ainsworth mit taz-Redakteurin Susanne Lang kurz vor Weihnachten in seinem Büro im Londoner Regierungsviertel. Gereicht wurde traditionell ein Cup of Tea.
INTERVIEW SUSANNE LANG - FOTO TOBY MELVILLE/REUTERS
Peter Ainsworth verzichtet in der Stadt aufs Auto, meidet Flugzeuge und bezieht Ökostrom. Der Brite ist auch Vorsitzender von zwei Umweltverbänden und wurde für seinen Einsatz für die Umwelt schon ausgezeichnet. Ach ja, und er ist Abgeordneter der Tories, der konservativen Partei Maggie Thatchers. Alles Show?
taz: Herr Ainsworth, Sie sind für Ihr grünes Engagement ausgezeichnet worden. Warum sind Sie Mitglied der konservativen, blauen Tories?
Peter Ainsworth: Ganz einfach. Aufgrund des bewahrenden Gedankens, der jeder konservativen Philosophie zu Grunde liegt, des Ideals der Nachhaltigkeit. In England führt dieses Denken weit zurück bis ins 18. Jahrhundert. Edmund Burke ist einer der Väter konservativen Denkens, und schon er thematisierte unsere Verantwortung für die Natur. Schon er kritisierte den unersättlichen Appetit der Menschheit. Wir können nie genug kriegen. Und wenn Sie in der Geschichte ein wenig weiter gehen, dann waren es die Konservativen, die im 19. Jahrhundert Gesetze gegen die Verschmutzung von Flüssen verabschiedet haben, die in den 50er Jahren Kohleöfen verboten haben und es war Maggie Thatcher, die als erste Regierungschefin 1989 eine Rede über den Klimawandel gehalten hat. Blau und grün, das geht schon lange Hand in Hand.
Lange Zeit stand das Thema aber nicht seit weit oben auf der Tory-Agenda. Warum sind Sie nicht den Grünen beigetreten?
Weil ich lieber aktiv Politik gestalte. Die Grünen sind Lobbyisten, wohingegen die Tories eine gute Chance haben, die nächste Wahl zu gewinnen und die grünen Reformen umzusetzen.
Werden sie das denn? Schließlich gibt es da noch ein Paar andere Kernwerte der Partei...
...jetzt kommt die alte Leier...
...Priorität für den freien Markt, Ablehnung von Regulierung, Steuersenkungen. Wie wollen Sie das mit Ihrer grünen Wende vereinbaren?
Es gibt immer noch Leute, die die Wirtschaft für das Problem halten. In den vergangenen 200 Jahren mag das nicht ganz falsch gewesen sein. Aber dieser alte Krieg zwischen Umweltaktivisten und Wirtschaftsunternehmen ist nun vorbei. Es war immer eine Stärke der Konservativen, dass sie nie ideologisch, sondern pragmatisch den Blick auf die Lösungen der Probleme gerichtet haben. Und um eine Klimakatastrophe abzuwenden, sind wir auf die Unternehmen angewiesen. Aufgabe der Politik kann nur sein, langfristige Eckpläne zu erstellen, so dass Unternehmen jene Investitionssicherheit haben, die eine CO2-arme Wirtschaft erst ermöglicht.
Sehen die Unternehmen, große Energiefirmen zum Beispiel, das auch so?
Zunehmend ja. Vor allem bei großen Konzernen wächst das Bewusstsein für ihre Umweltverantwortung, zumal Sie sich auch über den Nutzen klar sind, wenn sie etwa ihre Energieversorgung selbst sicherstellen. Letztlich werden wir unsere Klimaprobleme nicht in den Griff bekommen, wenn wir es nicht mit dem Markt machen. Er ist und bleibt die mächtigste Kraft für Veränderung auf diesem Planeten. Das gilt auch für Energiekonzerne.
Und deshalb schließen auch die Tories nicht aus, weitere neue Atomkraftwerke zu bauen?
Wissen Sie, ich sehe das nicht unter ideologischen Gesichtspunkten.
Das hat man auch schon mal gehört.
Für mich schließen sich Atomkraft und erneuerbare Energien nicht aus. Atomkraft ist eine Technologie, die einerseits kaum CO2 ausstößt, andererseits eine Menge Risiken und Probleme mit sich bringt. Wir wissen ja heute bereits nicht mehr, wie wir den anfallenden Müll entsorgen sollen. Unser Ansatzpunkt ist daher die Förderung von neuer Technologie, mit finanziellen Anreizen für CO2-arme Entwicklungen und Strafen für CO2-hohe. Zum Beispiel planen wir eine Wärme-Abgabe für Atomkraftwerke, die über ihre Kühltürme weiterhin eine Menge Energie in die Luft blasen. Sie sollte wieder in den Energiekreislauf eingespeist werden.
Das klingt nicht nach einem Konservativen Prinzip, sondern nach dem bösen Wort Regulierung?
Ich weiß. Aber eines können auch wir nicht ändern: Es wird Gewinner und Verlierer geben, wenn wir das System umstellen. Was wäre denn die Alternative? Wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten können, werden wir alle Verlierer sein. Es kommt auf ein ausgewogenes Belohnungssystem an. Daher wollen wir im jetzigen Steuersystem stark umschichten: höhere Steuern auf die Verursacher von Umweltverschmutzung und weniger Steuern auf Arbeit und Familie. Auf diese Weise vermeiden wir eine Erhöhung der Steuern.
Das funktioniert?
Selbstverständlich. Menschen werden für die Umweltfolgen ihres Handelns mehr zahlen, aber für einen nachhaltigen Lebensstil belohnt.
Ihren bisher bekannt gegebenen Programmplänen zufolge bedeutet dies: mehr Straßen bauen, um die Infrastruktur zu verbessern. So will es auch Ihr Parteichef David Cameron.
So stimmt das nun nicht. Wir haben kein riesiges Straßenbauprogramm in der Schublade. Es gibt eben bestimmte Straßen, die in einem so schlechten Zustand sind, dass das Gefahrenpotenzial einfach zu groß geworden ist. Und mal ehrlich: Es sind doch nicht die Straßen, die CO2 ausstoßen, sondern die Autos.
Ah, so wird dann ein Schuh draus...
Die Technologie für umweltfreundlichere Autos gibt es doch bereits. Sie muss stärker zum Einsatz kommen.
Wie wollen Sie das erreichen? Verbraucher oder Firmen zwingen?
Naja, die EU beispielsweise hat ja einige Vorgaben gemacht.
Entschuldigen Sie, dass ich unterbreche: Aber niemand in ganz Großbritannien gibt etwas auf die EU, schon gar nicht die Tories.
Im Grunde sind wir eine EU-skeptische Partei, ja, das stimmt. Das bezieht sich aber auf Dinge wie eine gemeinsame Währung oder Verfassung. Selbstverständlich sehen wir aber trotzdem die Notwendigkeit, bei gemeinsamen Problemen zusammen zu arbeiten. Emissionen und Umweltverschmutzung macht ja nicht vor nationalen Grenzen Halt. Internationale Konferenzen und Abkommen wie jüngst in Bali halten wir für wichtig. Trotzdem lässt sich mehr erreichen, wenn wir in unserem kleinen, nationalen Bereich des globalen Marktes damit beginnen, auf grüne Produkte und Hersteller zu setzen.
Für gewöhnlich wird aber auch in Großbritannien gerne auf China und Indien verwiesen, die kommenden großen Umweltverschmutzer, die als erste handeln müssten.
Mittlerweile gibt es in der Gesellschaft meiner Meinung nach ein sehr hohes Umweltbewusstsein sowie hohe Besorgnis. Was fehlt, ist eine klare Meinungsführerschaft in diesem Themenfeld. Die verwirrenden Nachrichten reißen ja nicht ab. Denken Sie nur an die Wissenschaftler und Experten, die den Klimawandel immer noch als Schwindel abtun. Wir als Politiker müssen dafür sorgen, dass das abstrakte Thema für die Leute im Alltag greifbar wird, und zwar hier und nicht in China.
Das bedeutet?
Zum Beispiel muss es für alle Haushalte sehr viel einfacher werden, Müll zu recyclen. In vielen unserer Kommunen ist das immer noch kompliziert. Wie man aber an der gestiegenen Zahl umweltfreundlicher Autos sehen kann, sind die Menschen bereit umweltbewusster zu konsumieren und zu leben. Niemand will Teil des Problems sein, sondern Teil der Lösung. Daher muss die Politik die Lösungen vereinfachen.
Ihr kürzlich vorgestellter Bericht für Verbesserungen im Umweltschutz, die so genannte „Quality of Life Policy Review“, umfasst 500 Seiten. Klingt nicht nach Vereinfachung.
Bei diesem Bericht handelt es sich um Empfehlungen, aber ich kann Ihnen versichern: Er ist sehr radikal – und sehr aufregend. Was davon umgesetzt wird, nach einer Wahl, die voraussichtlich nun im Jahr 2010 stattfindet, kann ich Ihnen nicht sagen. Ein Kernprojekt ist aber bereits aus dem Bericht hervorgegangen: die Dezentralisierung der Energieversorgung analog zur grundsätzlichen Dezentralisierung der Politik. Die Kommunen sollen wieder mehr Macht bekommen. Das bedeutet auch, mehr Verantwortlichkeit für die Probleme in der unmittelbaren Umgebung. Dazu gehört der Umweltschutz. Eine Dezentralisierung der Energieversorgung stärkt kleinere Anbieter von erneuerbaren Energien und schwächt das Monopol der großen Konzerne.
Was heißt das für Ihren Vorsitzenden David Cameron? Der musste seine kleine Windanlage auf dem Dach seines Hauses im schicken Notting Hill ja wieder abnehmen.
Stimmt, der Gemeinderat...
...mit Labourmehrheit...
... hatte etwas dagegen. Er hat die Hoheit über Baugenehmigungen, dazu zählen Dinge, die man auf dem Dach anbringen will. Klar: Das wollen wir auch ändern!
Viele Ihrer Kritiker sprechen ja von einem sehr durchsichtigen PR-Schachzug der Tories, mit einem Slogan wie „Vote blue, go green“ – „Wählen Sie konservativ, werden Sie grün“ – sei man im Zeitgeist gut positioniert.
Ich glaube, dass sich die Menschen wirklich um ihre Umwelt sorgen und ein Bedürfnis nach politischer Kompetenz in diesem Themenfeld existiert. Noch vor drei Jahren sah das anders aus, aber ich muss sagen: Ich freue mich darüber. Ich kämpfe seit Jahren für mehr Umwelt- und Klimaschutz und plötzlich finde ich mich in einem sehr überlaufenen Fachgebiet wieder. Das ist ein Fortschritt. Ob wir PR machen? Nein, wir machen ein radikales und ernstzunehmendes politisches Angebot, die Energieversorgung in unserem Land umzustellen und die CO2 Emissionen zu senken.
Cameron hat an alle Tory-Abgeordnete die Anweisung gegeben, die nötigen Veränderungen selbst vorzuleben – nachdem es bei ihm selbst ja nur mittelmäßig geklappt hat. Er ließ sich seine Akten mit dem Auto ins Büro fahren, immer wenn er das Fahrrad benutzte. Wie sieht denn Ihre persönliche Ökobilanz aus?
Vor etwa drei Jahren habe ich damit begonnen, meine Emissionen zu berechnen. Seither habe ich sie um 25 Prozent gesenkt. Ansonsten fahre ich in London nicht mehr mit dem Auto, sondern nehme öffentliche Verkehrsmittel. Ich habe alle Glühbirnen in Energiesparlampen getauscht, wir haben einen Biokompost und recyclen alles, was recycelbar ist. Mit dem Fliegen ist es problematischer, aber ich versuche, es so wenig wie möglich zu tun.
Das heißt, Sie fahren innerhalb Großbritanniens mit dem Zug?
Ja. Der einzige Flug, den ich letzter Zeit nehmen musste, hatte einen sehr ironischen Anlass: Ich war zu einer Konferenz in Portugal als Redner eingeladen, um vor ungefähr 800 Tourismus- und Reiseverkehrsleuten über den Klimawandel zu sprechen. Mit dem Zug hätte ich dorthin zwei Tage gebraucht, das war also keine Alternative. Aber ich gleiche nach jedem unvermeidbaren Flug meine Treibhausemissionen aus.
Wie sieht es mit Ihrem Haus aus, haben Sie es energiesparsamer isoliert?
Leider noch nicht. Wir müssten das komplette Dach erneuern, um energieeffizienter zu werden, das kostet ziemlich viel Geld. Dafür habe ich meinen Stromanbieter gewechselt und beziehe Energie nun von NPower, einer Windkraft-Firma. Ich denke, das ist das Einfachste, aber eben auch Wirksamste, was jeder Einzelne von uns tun kann.
Zahlen Sie seither mehr für Strom?
Nein, aber in England gibt es sehr viele unterschiedliche Stromtarife, grundsätzlich kann man also nicht sagen, dass ein Wechsel nicht teuerer sein kann. Aber der Preisunterschied ist nicht sehr hoch.
Werden Sie trotz der Grünfärbung der Tories in der eigenen Partei ab und an als Öko beschimpft, der einen nur mit dem Untergang der Welt belästigt?
Selbstverständlich gibt es auch da Leute, die verneinen, dass es überhaupt ein Umweltproblem gibt.
Wie reagieren Sie darauf?
Ich sagen ihnen: Hoffentlich habt ihr Recht. Aber angesichts der überwältigenden wissenschaftlichen Erkenntnisse wäre es für jeden Politiker völlig unverantwortlich, dieses Problem zu leugnen. Und angenommen, es gäbe den Klimawandel wirklich nicht – wir müssten trotzdem handeln und in neue Energiequellen investieren. Nicht nur weil die Ölvorräte zu Ende gehen werden, auch aus geopolitischen Gründen. Die kann niemand leugnen.
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