Kram und Seele

■ Diskussionen um alte Grenzverträge in Polen

Was denn - soll nun alles wieder von vorne verhandelt werden? Abgeordnete aus Szczecin haben sich an die Warschauer Regierung gewandt und die gebeten, das Abkommen über Seegrenzen und Fischereizonen, das in langwierigen Konferenzen zwischen Polen und der DDR zustande gekommen war, noch einmal zu überprüfen. Den Vertrag habe die alte, kommunistische Regierung ausgehandelt, und es sei - deshalb? - ein mieser Vertrag herausgekommen. Was soll schon sein da wird es dann wieder um ein paar Seemeilen mehr oder weniger gehen und um den Festlandsockel und um die Zufahrten zu den Häfen. Was soll schon sein - wir Stinos verstehen nichts davon, und die Haltung „Ein polnisches Schiff fährt nicht durch fremde Hoheitsgewässer in seinen Heimathafen“ klingt in meinen Ohren verdammt altmodisch, unzeitgemäß. Ich weiß nicht, ob die pommerschen Abgeordneten für ihr Anliegen im Sejm eine einflußreiche Lobby auftreiben werden, weiß auch nicht, ob Grenzen in Ostsee und Oderbucht wirklich Fragen sind, die an die nationale Seele rühren. Ich weiß nur, daß mich meine alte Regierung mit diesem Thema überhaupt nicht behelligt hatte und mich dann sowie den Rest der Bevölkerung eines Tages mit der Veröffentlichung des Vertragstextes sowie diverser unübersichtlicher Landkarten überraschte. Bis dahin hatte die Öffentlichkeit nie von diesem Schwelbrand zwischen Polen und der DDR Kenntnis genommen. Um ehrlich zu sein: Es hätte mich womöglich auch eher belustigt als zu irgendeiner Art von Prinzipienreiterei verleitet; es fehlt mir an nationalem Ethos. An Pathos sowieso. Allerdings hatte ich über die Jahre hinweg gelernt, daß es andere Völker damit zuweilen anders halten. Dieser Umstand ist zu respektieren.

In den letzten Tagen war zu lesen, Lech Walesa habe den Wahl-Sieg der litauischen „Sajudis„-Bewegung begrüßt. Dieser Akt ist in keiner Weise verwunderlich. Gleiche Brüder... Aber wenn ich die Meldung in Beziehung setze zu jenen Nachrichten aus Litauen, die nicht nur von sich ausbreitendem Russenhaß künden und nicht nur von Ressentiments gegenüber dem polnischen Bevölkerungsteil dieser baltischen Republik, sondern auch von Grenzfragen, die es zwischen Polen und Litauen gebe und die geregelt werden müßten (und wenn ich andererseits das traditionelle Schmachten vieler Leute zwischen Gdansk und Krakow in Betracht ziehe, wenn nur der Name „Wilna“ fällt) -, ja dann ist so ein freundlicher Gruß Walesas in Richtung Litauen so unwichtig nicht.

Im übrigen: Stalin hin - Stalinismus her: Wir können uns doch aus „Jalta“ nicht nur immer das herauspicken, was uns gerade in Kram und Seele paßt.

Wolfgang Sabath