piwik no script img

Fragwürdige Geschichtstherapie

■ Thomas Braschs „Der Passagier - Welcome to Germany“, 23.10 Uhr, ZDF

Das Rattern einer laufenden Kamera: „Come closer“, dirigiert Regisseur Confield (überraschend gut: Tony Curtis) den Zuschauer gleich zu Beginn in seinen Film und in seine Geschichte hinein. Der erfolgreiche amerikanische Serienproduzent kam zurück nach Berlin, um on location einen Film über die Dreharbeiten zu einem antisemitischen Nazifilm zu drehen.

Mit schlohweißen Haaren und weißem Anzug sitzt er nun in einem Maskenbildnerraum vor seinem Spiegelbild wie das Kaninchen vor der Schlange in Gestalt einer unbewältigten Vergangenheit. Keiner aus der unter Cornfields exzentrischen Eskapaden langsam zu meutern beginnenden Filmcrew weiß zunächst, daß der Filmemacher statt Geschichtsbewältigung in Wahrheit eine narzißtische Selbsttherapie plant: Er selbst war nämlich einer der vom Reichspropagandaministerium aus einem KZ rekrutierten „Originaldarsteller“, denen damals nach Beendigung der Dreharbeiten zum Schein die Emigration in die Schweiz versprochen wurde. Ein Vorfall, der in Veit Harlans Jud Süss das authentische Vorbild hat.

Mit Hilfe der Maskenbildnerin Sophie (Katharina Thalbach) plante der junge Cornfield die Flucht, verschuldete aber im entscheidenden Moment aus Angst den Tod seines Freundes. Um sich von dieser fragwürdigen Schuld reinzuwaschen, ist Cornfield nach über 40 Jahren an den Tatort zurückgekehrt, um den Tod des Freundes mit ein wenig Hollywoodpathos zum Heldentod zu stilisieren. Am Ende taucht Sophie noch einmal auf. Von den Nazis wegen ihrer Fluchthilfe zum Krüppel geschlagen, erklärt sie, im Rollstuhl sitzend, wie sich die Dinge tatsächlich abgespielt haben.

Die stärksten Momente des Films (im Film), als die KZ -Statisten sich unterwürfig den Nazis anbiedern, gliedern sich zwar formal überzeugend in die „aktuellen“ Dreharbeiten ein. Die angestrebte Spiegelung der Geschichte in die Gegenwart bleibt jedoch Fragment. Offensichtlich wird es, daß Brasch irgendwann den Überblick verloren hat, plot -wholes, so groß, daß Hannibal seine Elefanten hätte durchführen können, werden durch die nachträglich eingefügten, dramaturgisch verpatzten Bußszenen nicht geschlossen. Die trivialethische Akzentverschiebung des Films auf die Frage, ob es legitim sei, daß ein Regisseur seine Crew einfach herumkarrt und über Sinn und Zweck des gesamten Projekts im Unklaren läßt, ist eine mehr als an den Haaren herbeigezogene Parallele zwischen filmhistorischem Naziterror und dem im heutigen Filmgeschäft alltäglichen kreativen Prozeß.

Am überzeugendsten bleibt Der Passagier in seiner visuellen Gestaltung. Axel Bocks faszinierend Monochrombilder, in denen Blutrot die einzige Farbe bleibt und wie ein Dolch ins Auge sticht, sind aber nicht gerade geeignet für das geringe Auflösungsvermögen des TV -Bildschirms. Trotz der genannten Mängel bleibt der mit Herbert Grönemeier, George Tabori und Matthias Habich in den weiteren Rollen gut besetzte Film im Jammerladen des deutschen Films eines der gelungenstens Projekte der letzten Jahre.

Manfred Riepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen