: Palast der Arbeit? Gewurschtel?
■ HAG-Fabrik: Ist der erste Eisenbetonbau der deutschen Industriegeschichte schutzwürdig? Ausstellung im Focke-Museum
hierhin bitte das Foto
mit den Tassen in der
Vitrine
Auch zu sehen: Kaffee-HAG-TassenserieFoto: HolzapfelWalter Gropius, 1913
Ob Sie vorm alten HAG-Palast was spüren würden von einer Zeit, die sich noch die gemeinsame große Idee einbilden konnte? Der Streit, ob der Bau schutzwürdig sei, hält an. Seit 1907 steht die Anlage zur Fabrikation von koffeinfreiem Kaffee im alten Holzhafen. Hugo Wagners erste Fassung ist aber inzwischen mehrmals umgebaut und erweitert worden: Kein Denkmal mehr! sagt das hiesige Amt für
Denkmalpflege. Es hat ein Gutachten erstellt, das einer Abrißempfehlung sehr nahe kommt. Andererseits Jörn Christiansen, Leiter des Focke-Museums, hält die Fabrik mit ihrer einprägsamen Silhouette durchaus für ein Kulturdenkmal. Eine Sonderausstellung in seinem Haus belebt jetzt mit neuem Anschauungsmaterial den alten Streit.
Allerhand Fotos zeigen, wie sich nach und nach die Gebäude veränderten: neue Fensterfronten fast überall; das Lagerhaus (im Bild links) erhielt eine neue Etage und ein Walmdach obendrein; der Schornstein des Kesselhauses rückte nach rechts und wuchs in den Himmel; aus der „Extraktion“ (rechts) wurde, was heute als vertrauter HAG-Turm im Stadtbild Eckposten steht.
Erhalten haben sich Wagners Grundgedanken: Er gliederte den großen Komplex in einzelne Gebäude für je einen Produktionsabschnitt; verbunden nur indirekt durch einen halb unterirdischen Transportkanal. Und er ließ das Funktionale nach außen treten: die tragenden Pfeiler regieren die Senkrechte; nichts ist geschnörkelt noch abgeblendet. Bloß mit ihren herzigen Gauben die Walmdächer, nur scheinbar gestützt von Pseudopilastern, wollen den Zweckbau aufs Heimatlichste erwärmen. Insgesamt aber malen die ausgenüchterten Fensterfronten und das Auf und Ab der Dächer eine Silhouette, die in den Zwanzigern von der Firma HAG sogar als Werbelogo eingesetzt worden war, wie ein Plakat in der Ausstellung zeigt.
Für Dr. Hoffmann, den Leiter des Amtes für Denkmalpflege, überwiegt aber am Bau, sagt er, nun leider „das Heimattümliche“. Und eine „interessante Überformung“ habe es nie gegegen, die Umbauten hätten nur das „Gewurschtel“ noch vermehrt: „Da ist ein einziges altes Fenster übrig! Das Bedeutendste sind noch die Fahrstuhltüren.“ Angesichts der Wagnerschen Urfassung immerhin hätte er Gnade vor Denkmalrecht ergehen lassen.
Daß es allerdings problematisch ist, von all der Baugeschichte, die uns umgibt, nur die urigen Originale und unter ihnen die handsignierten für schutzwürdig zu achten, räumte Hoffmann gestern vor der Presse selber ein: Ausgerechnet sein eigenes Gutachten, dessen Veröffentlichung der laufende Streit nun leider erzwungen habe, sei, sagte er, „als Munition gegen uns hervorragend geeignet.“ Wie das? „Ein cleverer Anwalt könnte damit gut die Schutzwürdigkeit von Objekten anderswo anfechten.“
Dafür werden wenigstens die Denkmalpfleger nicht angefochten, jedenfalls nicht von der Gebäudeeignerin Jacobs-Suchard, die im vergangenen Sommer schon einen hafenseitigen Erweiterungsbau abreißen ließ. Die Baubehörde hatte übrigens genehmigt, ohne die Denkmalschützer auch nur zu fragen.
Daß Hoffmann derart den Denkmalschutz preisgebe, wird ihm unter anderem von Nils Aschenbeck, der die Ausstellung mit erarbeitet hat, vorgeworfen (s. taz von gestern). Jörn Christiansen setzte gestern behutsam nach und plädierte für eine „saubere Gewaltenteilung“: Denkmalpfleger, sagte er, sollten sich doch nur den eigenen Kriterien unterwerfen und nicht Kostenfragen, eventuelle Gerichtsurteile und andere Sachzwänge schon im voraus einberechnen; „lieber soll man hinterher ein Denkmal plattmachen, wenn es sozial nicht gehalten werden kann.“
Hoffmann wiederum gab beharrlich „die gegnerischen Anwälte“ zu bedenken, die einem aus jedem Denkmal, welches nicht hieb- und stichfest als solches beweisbar sei, doch eine Blamage vor Gericht bereiteten. Von der Delikatesse des Einzelfalles einmal abzusehen, bat ihn Christiansen: Ob ihm denn die Topographie des Hafenmilieus, zu der die eigenwillige Silhouette nun mal gehöre, so gar nichts bedeute? Hoffmann entgegnete: „Silhouetten können wir nicht schützen. Städtebauliche Gründe sind im Denkmalschutzgesetz nicht vorgesehen.“ Manfred Dworschak
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