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Die Leidtragenden des Debattenmarathons Von Andrea Böhm

Der Ausnahmezustand für die Fernsehgesellschaft ist beendet. Nach vier TV-Debatten der Präsidentschaftskandidaten und ihrer Ersatzmänner sind die Chipsvorräte geplündert, in der Mülltonne türmen sich die Bierdosen und im Hirn die Slogans von Ross, Bill und George. Und über allem ein kräftiges „God bless America“.

Die deutlichsten Spuren soll der Debattierclub in der Turnhalle der Washington Universität in St. Louis hinterlassen haben, wo die erste Diskussion stattfand. Wo sonst der hoffnungsvolle Nachwuchs Basketball spielt oder sein Aerobicprogramm absolviert, wurden zwei Löcher in den Boden gebohrt, um Toiletten für die Herren Bush und Perot zu installieren. Auch Blasen von Präsidentenanwärtern neigen in Streßsituationen zur Nervosität. Offensichtlich gibt es in der Sporthalle nur ein fest installiertes Klo. Dort durfte ganz allein Bill Clinton pinkeln – nach einem glasklaren Sieg durch Losentscheid. Wenn das kein gutes Omen für die Wahl ist.

Die wahren Leidtragenden dieses Debattenmarathons sind nicht die Zuschauer, auch nicht die Kandidaten, sondern der Stamm der „Pundits“. Der mußte am härtesten schuften. „Pundits“ stehen im Kastensystem der TV-Demokratie mindestens zwei Stufen über dem Wähler, eine über den Wahlforschern und eine unter den Politikern. „Pundits“ sind laut Wörterbuch weise Menschen. In der Praxis sind sie Journalisten mit einem Zusatzeinkommen durch professionelles Kaffeesatzlesen. Manchmal ergibt sich zwischen Theorie und Praxis eine Schnittmenge.

Ein „Pundit“ erscheint meist in Begleitung anderer „Pundits“ nach einer TV-Debatte auf dem Bildschirm und erklärt dem Wähler, was der gerade selbst gesehen und gehört hat. Hatte Bill Clinton heute „Feuer in der Stimme“? Machte George Bush endlich den Eindruck, daß er wiedergewählt werden möchte? War der Beifall für Perot lauter als der für Clinton? War Al Gore zu hölzern? Hat Quayle nervös gekichert? Haben die Kandidaten ehrlich geantwortet? Nachdem man diesen Fragen auf den seichten Grund gegangen ist, besorgen sich die „Pundits“ neuen Gesprächsstoff: Sie sammeln die Fieberthermometer ein, die die Wahlforscher in der Zwischenzeit ausgelegt haben. Liegt Clinton nach der Debatte um dreizehn, neun oder siebzehn Prozentpunkte vor George Bush? Was sagt die neueste ABC-Umfrage im Unterschied zur CNN-Umfrage? Wünscht sich die Mehrheit der repräsentativ ausgewählten Amerikaner lieber Barbara Bush oder Hillary Clinton ins Weiße Haus? Soll Hillary mehr Cookies backen oder in der Politik mitmischen?

Nicht zu vergessen: der Debattenmesser. Da sitzt das Wahltier im Versuchsraum und signalisiert per Schalter, ob ihm gefällt, was George, Bill oder Ross gerade von sich geben. Das Wahlvolk wird befragt, beäugt, untersucht, ausgehorcht. Seine Unberechenbarkeit ist die Arbeitsplatzgarantie für den „Pundit“ und den Wahlforscher – bis auch hier die Rationalisierung zuschlagen wird: In Form des demoskopischen Mikrochips, am Ohrläppchen des Wählers befestigt. Die Pulsfrequenz wird dann während der Debatte mitausgestrahlt. Direktes Feedback ist garantiert: Der Kandidat kann unmittelbar reagieren und durch neue Versprechen die Herzen höher schlagen lassen.

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