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Machtmißbrauch in der Therapie

■ Etliche Patienten leiden unter der Abhängigkeit von ihrem Seelendoktor. Zwei Psychotherapeutinnen setzen sich mit dem Thema kritisch auseinander.

Der Psychomarkt boomt. Woody Allens Stadtneurotiker könnten heute auch aus Eimsbüttel oder Altona kommen. Jedem seinen Therapeuten, jeder ihre Therapeutin und/oder umgekehrt. Aus manchen Therapien erwächst aber nicht nur eine bessere psychische Gesundheit und ein größeres Selbstvertrauen, es besteht auch die Gefahr des Mißbrauchs der PatientInnen.

Der sexuelle Mißbrauch ist nur eine besonders drastische Form der Entgleisung in der therapeutischen Beziehung, die in letzter Zeit zunehmend öffentlich bekannt wird. Es gibt andere Formen des Machtmißbrauchs, die in jeder Therapie auftreten können. Aber wie können Klienten oder Patienten merken, ob Therapeuten ihre Macht mißbrauchen? Die taz fragte die Hamburger Psychotherapeutinnen Gabriele Amelung und Juliane Hain nach Warnsignalen und nach Abhilfe.

taz: Warum setzt ihr euch als Therapeutinnen mit dem Thema Machtmißbrauch auseinander?

Hain: Machtmißbrauch ist eine ständige Gefährdung auf dem Feld der Psychotherapie, denn als Therapeutin habe ich Macht und Einfluß auf Menschen. Sich ständig mit dem Thema auseinanderzusetzen heißt, sich selbst in Frage zu stellen. Dadurch werden auch die befreienden Möglichkeiten der Psychotherapie erhalten.

taz: Wie kommt es zum Machtmißbrauch?

Hain: Machtmißbrauch hat dort einen fruchtbaren Boden, wo hundertprozentige Gesundheit machbar erscheint, und das totale und konfliktlose Funktionieren als gesund gilt. In den 70er Jahren wurde über die Begriffe Gesundheit und Krankheit kritisch diskutiert. Das „normal sein müssen“ wurde in Frage gestellt. Heute ist es still um diese Debatte geworden. Psychotherapie gerät immer mehr in den Bereich von Ideologie, Weltanschauung und Glauben.

taz: Woran können PatientInnen erkennen, daß TherapeutInnen ihre Macht mißbrauchen?

Amelung: Sie müssen überprüfen, welche Gefühle sie gegenüber deR jeweiligen TherapeutIn haben und es ansprechen, wenn sie empfinden: Ich mag die nicht, ich fühl mich da nicht wohl. Sie können sich fragen: Inwieweit findet ein äußeres Leben noch statt? Lebe ich nur noch in Abhängigkeit von der Therapeutin/dem Therapeuten, oder gibt es noch andere Personen, die mir wichtig sind? Entsteht auch Neues in meinem Leben, wenn Altes wegfällt?

Hain: Sie können sich zur Kontrolle selber fragen, ob es überhaupt denkbar wäre, etwas in Frage zu stellen, Kritik oder Zweifel zu äußern.

taz: Welche Auswege aus einer solchen Situation gibt es?

Hain: Ist eine Therapie festgefahren, kann unter Umständen ein Dritter hinzugezogen werden. Möglicherweise müssen TherapeutIn oder Therapieform gewechselt werden. Die PatientInnen können sich an die Schiedsstelle des Bundes Deutscher Psychologen oder eine Patienteninitiative wenden, wenn sich die Schwierigkeiten nicht klären lassen.

taz: Wer kann helfen, nach einem Therapie-Mißerfolg oder besser noch vor Beginn einer Behandlung die richtige TherapeutIn zu finden?

Amelung: Staatliche und kirchliche Beratungsstellen, die BIFF (Beratungs- und Informationsstellen für Frauen), die Pro Familia und das Familienplanungszentrum bieten ihre Unterstützung an. Sie vermitteln in dringenden Fällen innerhalb von drei bis vier Wochen ein Vorgespräch. Diesen Stellen sind die TherapeutInnen oft bekannt. Diese Tatsache bietet eine gewisse Sicherheit, Kontrolle und Öffentlichkeit.

taz: Welche Rechte haben PatientInnen?

Hain: Gesetzliche Regelungen gibt es nicht. Die PatientInnen haben aber die Berechtigung, von den TherapeutInnen über ihre Arbeitsweise informiert zu werden. Die PatientIn und ihre Schwierigkeiten stehen im Mittelpunkt, nicht etwa die Gefühle der TherapeutIn. Auch bei langfristigen Therapien und schweren Beeinträchtigungen der PatientIn sollten erreichbare Ziele immer wieder gemeinsam diskutiert und festgelegt werden. Die Fragen stellte Vera Stadie

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