: Verkannte Kunst
...oder verkappte Pädagogik? Heute beginnt das 2.Kinder- und Jugendtheater-Treffen ■ Von baal
„Augen auf und durch“ – so lautet das springfidele Motto des diesjährigen Deutschen Kinder- und Jugendtheater-Treffens, zu dem Großberlin alle unverdrossenen Theatergänger der jüngeren und jüngsten Generation (nebst den zugehörigen Erwachsenen) einlädt.
Anders als beim alljährlichen Theatertreffenfossil der sogenannten Hohen Kunst, gibt sich dieses Treffen in der Zeit vom 25.-30. April tatsächlich die Mühe, seinem Publikum so etwas wie einen Längsschnitt durch das Angebot der Jugendtheater Deutschlands und Europas zu geben und neben Gesprächsforen für Kulturmanager, Theatermacher und Theaterwissenschaftler genügend sinnliches Anschauungsmaterial der unterschiedlichsten Couleur anzubieten.
Im Rahmen des internationalen Programms sind neben den Schweizer und Österreichischen Nachbarn diesmal vor allem Beiträge aus östlichen Ländern eingeladen: Aus Rußland kommt „Der zerstreute Mann“ zu uns, aus Polen ein Stück nach Motiven belorussischer Volkskunst und aus der Slowakai die Geschichte von „Sir Halewyn“. Die genannten Stücke werden sich an die Altersgruppe ab fünfzehn Jahre, während zahlreiche Aufführungen die Altersgruppe von 4 bis 6 Jahren anspricht.
Das caroussel Theater – neben dem Podewil eines der Hauptspielorte – wagt zum Beispiel mit ihrem „Zirkus der Kuscheltiere“ (ab 6 Jahre) den Versuch, „eine winzige Lücke in der Arena des Vergessens“ zu öffnen, indem ein Theaterdirektor mit seinen zwei Assistenten aus den Überbleibseln unserer Wegwerfgesellschaft und der Phantasie der jungen Zuschauer über 50 Tiere erstehen läßt – wofür den Schauspielern bereits der Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin verliehen wurde. Doch auch andere Titel wie „Ein kleines Traumspiel“ (Esslingen) und „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“ (Erfurt) versprechen, derartige Lücken aufzutun.
Auf die ältere Altersgruppe wartet eine ungewöhnliche Faust- Adaption, die davon ausgeht, daß am Ende von Faust I „Gretchens Sohn“ (Landesbühne Esslingen) tatsächlich geboren wird und später seinen Vater, den berühmten Abenteurer des Goetheschen Faust II in der Weite der Welt sucht – eine Suche, die den Sohn schließlich ganz auf sich und seine Generation zurückführen wird. Mit Ferdinand Bruckners in Berlin schon oft inszeniertem Depressionsstück „Krankheit der Jugend“ und Max Frischs Rassenwahnanklage „Andorra“ stehen aus Magdeburg und München berühmte, leicht angestaubte Stücke auf der Bühne, die aufgrund der neuesten gesellschaftlichen Entwicklungen zu überraschender Aktualität gekommen sind.
Ob sich diese Bezüge herstellen, wird eines der Diskussionsthemen sein, die jeden Tag ab 17.30 Uhr im Podewil behandelt werden. Hier sollen so provozierende Fragen erörtert werden, wie die, ob der Jugentheaterschauspieler eher verkannter Künstler oder doch mehr verkappter Pädagoge sei oder ob die Spielpläne der Zielgruppen- Theater adäquat auf die Gewaltwelle in Deutschland reagieren können.
Daß sich auch Berlin seiner Jugendtheaterszene nicht schämen muß, wäre kaum unter Beweis zu stellen; trotzdem wird am Mittwoch eine Werkschau der Freien Berliner Theaterszene angeboten. Aus den über hundert professionell arbeitenden Gruppen wurden mit Aufführungen des „Theaters Zinnober“, dem „Weiten Theater“ und „Hans Wurst Nachfahren“ drei Produktionen aus dem Bereich des Figurentheaters ausgesucht. In „Volltreffer“ der „Theaterproduktion Strahl“ und „Hart daneben“ der „Spielwerkstatt Berlin“ geht es dagegen vor allem um Tendenzen des emanzipatorischen Jugendtheaters und der Spezifik des Berliner Alltags.
Dem insgesamt überaus reichhaltiges Programm fehlt jede Eintönigkeit, eher droht es an bunter Vielfalt überzuquellen. Spät abends gibt es im Podewil zur Entspannung für den Allround-Teilnehmer noch die „Kleinkunst zu später Stunde“, wo uns unter anderem Verena Reichhardt die herrliche Waechter-Geschichte vom Teufel mit den drei goldenen Haaren vortragen wird. Ob das Zielgruppentheater ein Insidertreff bleibt oder ob der enorme Umfang der Zielgruppe nicht jeden Moment von elitärem Getue überflüssig macht, bleibt abzuwarten.
Zeit und Orte der Aufführungen: siehe Programmteil
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