Durchs Dröhnland: Zutiefst verzweifelte Fröhlichkeit
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Immer noch vornehmlich mit akustischen Instrumenten versuchen Unpleasant Surprise nun schon seit einigen Jahren, dem darniederliegenden Berliner Pop eine neue Klangfarbe zu schenken. Das dabei starre Beharren des Trios auf eintönige, aber dezent flirrende Rhythmik rückt es in die Nähe einiger neuseeländischer Folkrockkapellen, denen allerdings der Hang zum Geräuschausflug abgeht. Die offensichtlich groben Popstrukturen werden bei Unpleasant Surprise fast schon zu aufgesetzt durch offenherzige Experimente aufgebrochen. Aber wenn die Schönheit ihre Schonzeit nimmt, sind die drei trotzdem am besten aufgehoben.
Am 9.7. um 21 Uhr im Zosch, Tucholskystr.30, Mitte
Auch jenseits von Musikantenstadl und Krug zum grünen Kranze hat die Volksmusike einen unerwarteten Aufstieg genommen. Standen die Biermösl Blosn jahrelang allein auf weiter Flur, werden die alternativen Auen nun auch von anderen bevölkert. Und wenn Bayern (Ringswandl) und die Schweiz (Attwenger) vorlegen, will Österreich natürlich nicht nachstehen. In Wien konstituierten sich zu diesem Behufe Franz Franz & The Melody Boys. Mit Akkordeon, Fagott, Schlagwerk und viel Blech wird zerlegt, was auseinander gehört. Dabei beschränkt man sich nicht allein auf die überkommenen Melodielinien der in Stille ruhenden Ahnen, sondern macht selbst vor den Beatles nicht halt. Ihr „Come Together“ kann wahlweise als gemeinste Ehrbezeugung an die Herren Lennon und McCartney oder auch als Fiaker- Version einer bekannten Zigaretten-Kampagne durchgehen. Und noch mehr herkömmliche Popschemata werden auf- und angegriffen: „Harlem Shuffle“ und „O Sole Mio“. Doch ihr liebstes Plaisier ist die Musik des Volkes, wobei sich schwerenötende Lieblichkeit ins Zynische verkehrt und nicht – wie etwa bei Attwenger – eine böse kratzende volkstümelnde Derbheit erhält.
Am 9., 11. und 12.7. um 24 Uhr im Tacheles, Oranienburger Str.52–56, Mitte
Der Berliner Industrial hat ja trotz oder wahrscheinlich gerade wegen übermächtiger stadteigener Vorbilder nicht gerade Hochspannungsmasten ausgerissen. Auch Terminal Warfare wird das wohl nicht anders ergehen. Jedenfalls solange sie noch dem im Info ausgebreiteten Irrglauben anhängen, daß die zu Musik mutierten Maschinenklänge noch am ehesten den Menschen ihr aberwitziges Tun klarmachen und ausreden können. Da dies bekanntermaßen der Versuch ist, den Teufel per Belzebub auszutreiben und in letzter Konsequenz zu Techno und dessen offensiver Despolitisierung führt, sollte man Terminal Warfare als das nehmen, was sie sein können: flotter Industrial- Groove für Menschen, die zu stahlblauen Tönen die Beine schwingen lassen wollen – denen Tekkno aber zu falsch geschrieben ist.
Am 9.7. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Es gibt nicht allzu viele Bands, die sich – vom Hardcore her kommend – so nahe an den Metal herangewagt haben wie Helmet. Tatsächlich sind die New Yorker schon fast deckungsgleich, die Soundunterschiede könnten auch auf produktionstechnische Mängel zurückgeführt werden. Auch der Gesang enthält sich nicht der grobschlächtigen Artikulation und dem einen oder anderen Kindermörderschrei. Tatsächlich liegt die Sache aber natürlich völlig anders. Die vier sind nicht dort gelandet, wo sie gelandet sind, weil sie Metal an sich so gelungen finden, sondern weil sie nur das Nötigste vom verehrten Hardcore spielen wollten. Da viele Wege nach Rom führen, aber immer andere Leute an der Straße wohnen, sind Helmet halt nun Postpunkrockhelden geworden, auch weil ihr eindrucksvolles Gedröhne halt doch einen momentan denkbaren Endpunkt der Entwicklung darstellt, nämlich Metal ohne zugehörige Attitüde und das Gitarrengenudel. Bleibt nur noch die Frage, warum man dazu vorher Jazz studieren muß, wie dies Gründer Page Hamilton tat. Und die Anekdote, daß die Band ursprünglich Helmut heißen sollte, wegen, ja richtig, wegen des Kanzlers der blühenden Landschaften. Hamilton hat hier wohl einige Zeit verbracht. Soll man das jetzt bedauern?
Am 9.7. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Die verzerrt jaulende Gitarre hat wieder Konjunktur, aber schon lange wurde sie nicht mehr so gekonnt angeschlagen wie von 29 Junior. Das Kreuzberger Trio hat offensichtlich ein paarmal zu oft „Rust Never Sleeps“ gesehen und kopiert fast exakt den angestaubt-aggressiven Gitarrensound von Neil Young bei dessen grandiosem Comeback. Inklusive Soli und Quäkgesang. Sie selbst erklären allerdings u.a. Sonic Youth und die Beasts of Bourbon zu Vorbildern, was wieder nur mal zeigt, daß Unwissenheit doch nicht vor Kopistentum schützt.
Am 10.7. mit Desmond Q Hirnch um 22 Uhr auf der Insel
Der Liedermacher, eine austerbende Gattung. Und warum? Weil man zur schnöden Klampfe allein halt nicht so richtig abgrooven kann. Denn merke: Zuerst das Vergnügen, dann die Moral. Außerhalb Deutschlands hat man das schon lange begriffen bzw. nie falsch gemacht. Die Texte gehen dann zwar meist unter, aber es ist eben auch mehr als nur „Preaching to the Converted“. Bei Jamiroquai wird sich bestimmt der eine oder andere einfinden – allein wegen des beinharten Uraltfunks mit ausführlichen Jazzdröseleien, dem wahrscheinlich auch George Clinton ein Ohr leihen würde. Sänger und Kopf Jay K ist aber nicht nur ein satter Soulcronner, sondern auch Radikalökologe. Die übliche Funkschaffe, die Schweiß-auf-deinem-Körper- Nummern wechseln sich ab mit Der-Planet-ist-am-Ende-Beschwörungen. Der Mann ist Priester, und es ist ihm ernst. Das ganze mag hin und wieder gar zu pathetisch werden, reine Imagepflege ist es ganz bestimmt nicht. Fragt sich nur, warum man das Eintrittsgeld nicht gleich Greenpeace überweist?
Am 11.7. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
So wie die Franzosen aus allem, was sie spielen, irgendwelche Comic-Musik machen, stülpen die Mexikaner ihren Versuchen mit Pop und Rock immer eine zutiefst verzweifelte Fröhlichkeit über. Das galt für den Rock'n'Roll von Richie Valens und den Tex-Mex von Los Lobos ebenso wie für den Stilmischmasch von Maldita Vecindad. Sie, die aktuellen Stars in Mexiko, küren diese Grundstimmung sogar zum einzig verbindlich Verbindenden in ihrer Musik. Denn hauptsächlich wird adaptiert, was aus allen Himmelsrichtungen so kommt: Rock und Punk aus dem Norden, Reggae und Artverwandtes aus Osten und Bolero und Tango aus dem Süden. Während die Stimmen mal schmachten, mal resignierend trauern, holtert und poltert der Rhytmus oder synkopiert versiert. Das ist der Stoff, aus dem man tanzschweißnasse Klamotten macht. Demnächst nicht mehr nur in ihren Ethno-Charts.
Am 15.7. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler
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