: Im Innern des Turms von Babylon
Eine gewaltige Bildbibliothek zum Thema Stadion, eingerichtet von Antonio Muntadas in Berlin ■ Von Brigitte Werneburg
Der Torbogen ist mit Lettern geziert, die ihn dem „Stadion der Weltjugend“ zuordnen. Indessen liegt kein schmuckes Stadionoval hinter dem Eingang, sondern ein Sandhügel, auf dem erste, spärliche Büsche sprießen.
Bei dieser desolaten Ansicht handelt es sich um eines von Hunderten von Dias, die auf vier, schräg in die Ecken des Raumes placierte Leinwände projiziert werden und Teil einer Installation sind, die dem Stadion als einem Archetyp des symbolischen und materiellen Tauschs nachforscht.
In Zeiten einer neuen Bescheidenheit, in der auch die bildende Kunst sich nicht mehr vermißt, „Totalität aus sich zu setzen, ein Rundes, in sich Geschlossenes“ (Th.W. Adorno), sondern „visuelle Forschung“ (J.-Ch. Ammann) ist, und zwar im kleinen, provisorischen Maßstab, laborierend am übermächtigen Alltag eher denn in ihm und mit ihm experimentierend, erscheint das Environment „Stadium IX“ des spanischen Künstlers Antonio Muntadas als tendenziell unzeitgemäß. Denn was in der Konstellation von Architektur-, Video-, Foto- und Toncollage die BetrachterInnen faszinieren muß: endlich eine sinnliche Ahnung vom Leben im Innern des Turms von Babel – samt seinen zwangsläufigen Ruinenresten des Stadions der Weltjugend – zu erhalten, schlägt auf das Projekt zurück. Es entkommt dem Pathos seines Themas nicht. Die Installation hat die Welt in der Nußschale. Sie erscheint komplett, definitiv, obgleich sie in ihren Stadien I bis IX, von Branfft/Kanada bis Berlin, den Ort immer mitbedenkend, sich stets veränderte. Daß sich aber die Antiolympiabettlaken, die man in der Tucholskystraße sieht, kurz bevor man in die Auguststraße einbiegt – wo sich die Kunst-Werke mit der Olympia-Arbeit befinden – im Bilderreigen wiederfinden: Gerade das macht die Installation total, unbescheiden welthaltig.
Dem Stadion als Container, wie Muntadas sagt, als Ort, dessen Gestalt, Benutzung und Bedeutung über Jahrtausende nur wenig Veränderung erfuhr, entspricht eigentlich nur ein anderer Container antiker Herkunft: die Bibliothek. Beide Container scheint wenig zu verbinden. Zwar sind beide sogenannte öffentliche Orte, aber die Öffentlichkeiten, die sich jeweils dort einfinden, scheinen unterschiedlicher nicht denkbar. Jedenfalls werden große Öffentlichkeiten ihren Fuß niemals weder in den einen noch den anderen Container setzen. Und dennoch ist kaum ein Mensch nicht schon in beiden gefangen: In der großen Bibliothek und internationalen Arena der elektronisch aufgezeichneten und verbreiteten Informationen und Spektakel.
Das System der Repräsentation und Information, qua elektronischer Medien den über Satelliten gesteuerten babylonischen Turmbau zu erfassen und zu dekonstruieren, ist denn auch durchgängiges Thema von Muntadas' künstlerischer Arbeit. „Watching the Press/Reading Television“ (1981), „Credits“ (1981), „Words: The Press Conference Room“ (1991) oder auch die Serie „Between the Frames“, wo er, nach Galerien und Handel, im Kapitel 5 „The Documents“, die Führungen, Kataloge, Audio- und Videotapes analysiert, mit denen im Museum dem Publikum die Kunst nahegebracht wird, zeigen Muntadas als Video-Künstler, der im selbstreflexiven und selbstreferentiellen Einsatz des elektronischen Mediums die Produktion und Konsumtion von Botschaften der Frage unterwirft: Welche Welt wird hier wie an wen vermittelt?
Im „Stadium IX“ ist zunächst die konkrete Stadion-Architektur modellhaft abgebildet: Dicht aneinandergereihte Säulen markieren die Form einer Ellipse und verwehren gleichzeitig den Zutritt ins Innere des Ovals, auf dessen Boden die Projektion eines Videofilms gerichtet ist, der ausschließlich die Zuschauer von Spielen und Spektakeln zeigt. Der umgebende Raum wird von Bild- und Wortprojektionen sowie einer Klangcollage beherrscht. Die sich überlagernden Bilder, Worte und Töne bilden die geradezu enzyklopädische Sammlung all der verschiedenen Quellen kultureller, politischer oder kommerzieller Propaganda, die das Stadion beherbergt. Muntadas, Biennale- und documenta-Teilnehmer in Venedig und Kassel, Gast des Center for Advanced Visual Studies am M.I.T. und in Spanien Vaterfigur junger Künstler, die über den lokalen Raum und lokale Themen hinausdrängen, gelingt mit „Stadium IX“ eine Art transparentes Gegenstück zu Ilya Kabakovs Installation des „Großen Archivs“, the biggest game in town: total, dynamisch, Geschichte und Gegenwart, Detail und Panorama, Politik und Rock'n'Roll, Masse und Sieger, Pathos und Sarkasmus („don't crowd“) im flüchtigen, leichtläufigen Wechsel der Bilder und Töne verwebend. Die Welt des Stadions zeigt sich vornehmlich als die des 20. Jahrhunderts; faschistische Aufmärsche und das Ornament der Masse im realsozialistischen Brot-und- Spiele-Betrieb sind dann aber eine Berliner Angelegenheit. Wie der städtische Bär, der auf einer NOlympia-Hauswand am Spieß gebraten wird.
Antonio Muntadas: „Stadium IX“. Kunst-Werke, Auguststraße 69, Berlin-Mitte. Bis 19. September
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen