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Für Mutti und Mustafa

■ Das Urban in Kreuzberg soll geschlossen werden. Doch in dem Kiezkrankenhaus formiert sich Widerstand gegen die Senatspläne

Seit 20 Jahren lebe ich in Kreuzberg, vor 18 Jahren habe ich angefangen, als Arzt im Urban zu arbeiten – da lernt man den Bezirk und sein Krankenhaus von allen Seiten kennen. Und ich bin fest davon überzeugt, daß die im Gutachten empfohlene Standortschließung des Urban-Krankenhauses für den Bezirk katastrophale Folgen hätte. Die Experten stehen da auf meiner Seite, und über 60.000 Freunde des Urban haben sich seit sechs Wochen per Unterschrift gegen eine Schließung ihres Krankenhauses ausgesprochen. Das ist die erfolgreichste Unterschriftensammlung in Berlin seit Gründung der Stadt!

Da kommt Hilde Müller zum Pförtner, eine rüstige Rentnerin, 75 Jahre alt, und gibt zehn grüne Unterschriftenlisten ab: „Warum machen Sie das?“ frage ich sie. „Is' doch klar. Wo soll ich sonst Vattern hinbringen, wenn er wieder mal krank wird und der Laden hier dicht ist. Hier meinen's die Leute gut mit ihm. Urban schließen, der Senat spinnt doch wohl.“ „Aber ihre Kasse, die AOK, hat doch das Gutachten in Auftrag gegeben, dafür 1,7 Millionen Mark bezahlt, und will die Schließung.“ „Die spinnen eben ooch.“ „Wo haben Sie denn die vielen Unterschriften gesammelt?“ „Na, bei Aldi.“

Gegenüber der Pförtnerloge steht ein rührend mit Blumen geschmückter Tisch, der mit einem blauen OP-Tuch bedeckt ist. In türkisch, deutsch und arabisch liegen die Infos über die Krankenhausplanung aus, und Proteststimmen werden gesammelt. Zu Besuchszeiten stehen die Unterschreibenden Schlange. Hier herrscht eine vielsprachiges Getümmel, eine Art integrativer Multikulturismus. Großfamilien nicht deutschsprachiger Herkunft unterschreiben vom Schulkind bis zur Oma. Warum unterzeichnet die Familie Dogan? „Wir gehen doch nicht nach Friedrichshain oder Mitte!“ Kurz und bündig – und nachvollziehbar.

Singen Sie gerne? Dann stimmen sie doch mal den Song „Wochenend' und Sonnenschein“ der Comedian Harmonists an: „Kreuzberg hat sein Krankenhaus, krank gehst du rein – gesund heraus. Ob Vater, Enkel, Großmama, wir sind für alle da. Vom Doktor bis zum Massör, das Heilen fällt uns nicht schwör! Ob Mutti oder Mustafa, für alle ist das Urban da. Ob Regen oder Sonnenschein, das Urban steht hier nicht allein! Hundertfünfzigtausend rufen laut: Urban wird nicht abgebaut! Wenn dieses Haus hier nicht wär, dann hätten wir es sehr schwer! Nein, dieses Haus bleibt unser Haus! Wir weichen nicht, wir geh'n nicht raus! Allen Kreuzbergern ist sonnenklar: Urban ist un-ver-zicht-bar.“

Das Urban muß bleiben,

* weil Kreuzberg eben ein besonderer Bezirk ist mit speziellen Problemen und Krankheiten und einer ungewöhnlichen Bewohnerstruktur – und mit diesen Bewohnern und ihren Problemen haben wir in langer Zeit gelernt, in Not- und Krankheitsfällen adäquat umzugehen.

* Weil unsere Patienten sonst nur mit großen Schwierigkeiten woanders Platz finden, denn um unsere Klientel reißen sich die anderen Kliniken wahrlich nicht.

* Weil wir als Akutkrankenhaus mit der größten Rettungsstelle Berlins nicht ersetzbar sind. Woanders müßten die Erste-Hilfe-Stellen entsprechend vergrößert werden, und die Feuerwehr hätte um 13 Minuten verlängerte Anfahrtzeiten.

Und das Urban wird bleiben,

* weil 150.000 Kreuzberger das wollen, die benachbarten Neuköllner und Tempelhofer nicht mal mitgezählt.

* Weil 1.700 Mitarbeiter die tollsten Aktionen geplant und organisiert haben, um mittels Aufklärung so großen politischen Druck durch die Betroffenen auf den Senat auszuüben, daß eine Standortschließung nicht durchsetzbar ist. Carsten Belter

Der Autor ist Anästhesist im Urban-Krankenhaus und Mitglied der „Pro Urban“-Reformgruppe

Am Montag, den 27. Oktober, lädt die Ärztekammer Berlin Krankenhausärzte und andere Interessierte zu einer Veranstaltung über die „Zukunft der Berliner Krankenhäuser“ ein. U. a. wird Prof. Michael Simon, der im Auftrag der Ärtzekammer das Senatsgutachten aus wissenschaftlicher Sicht bewertet hat, seine kritische Analyse präsentieren. Ort: TU Audimax, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin (U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz) um 19.00 Uhr. Einen Tag später, am Dienstag, den 28. Oktober, veranstalten die sieben von der Schließung bedrohten Krankenhäuser eine Fahrradprotestfahrt. Um 14.00 Uhr geht's am Krankenhaus Moabit in der Turmstraße in Tiergarten los, Ziel ist der Hermannplatz nahe des Urnan-Krankenhauses. Und schließlich soll das Urban am Martinstag, den 11. November, von 2.000 Lichter tragenden Kreuzbergern umstellt werden.

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