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Tabuthema Unfruchtbarkeit

Was tun, wenn man ein Baby möchte, aber keines bekommen kann? Die Methoden künstlicher Befruchtung sind nicht nur umstritten, sondern für Frauen auch sehr belastend. Eine Alternative können psychologisch orientierte Gesprächstherapien sein

Eine von der FH Münster entwickelte Kurzberatung erzielte eine ähnliche Erfolgsquote wie die In-Vitro-Fertilisation

von LARS KLAASSEN

Nahezu jede siebte Ehe, schätzen Experten, bleibt ungewollt kinderlos. Zum Teil liegen organische Ursachen oder hormonelle Störungen vor, manchmal sind es auch psychische Probleme, die einer Schwangerschaft im Wege stehen. Die Betroffenen stehen in der Regel zunächst hilflos vor ihrem Problem: Auf ihrem oft jahrelangen Weg von einer Arztpraxis zur nächsten, von Kliniken zu Spezialisten schwanken die Betroffenen zwischen Hoffnung und tiefer Enttäuschung und fühlen sich damit meist allein gelassen. Ungewollte Kinderlosigkeit ist nach wie vor ein Tabuthema.

Eines der bekanntesten medizinischen Verfahren ist die so genannte In-Vitro-Fertilisation (IVF). Bei dieser Reagenzglasbefruchtung außerhalb des Körpers wird eine männliche Samenzelle in die entnommene Eizelle der Frau injiziert. Hierfür sind umfangreiche Vorbereitungen nötig, denn der weibliche Körper muss mittels zeitlich exakt abgestimmter Hormongaben auf die Schwangerschaft eingestellt werden. Darüber hinaus werden Frauen, die sich dieser Behandlung unterziehen, zusätzlichem Stress bei den Operationen ausgesetzt, die für das Absaugen der Eizelle sowie das Einsetzen des entwicklungsfähigen Embryonen notwendig sind – Faktoren, die für eine erfolgreiche Therapie nicht gerade förderlich sind.

Eine in der Fachzeitschrift Lancet vor kurzem veröffentlichte Studie, an der 258 Paare teilgenommen haben, kam zu dem Ergebnis, dass die IVF keineswegs eine höhere Erfolgsquote habe als andere Verfahren. Von 87 Frauen, die aus dem Reagenzglas befruchtet wurden, wurden 33 schwanger und gebaren gesunde Kinder. 85 Frauen wurden im Zuge der Untersuchung im Anschluss an eine Hormonstimulation Samen in die Gebärmutter gespritzt. Nach dieser „intrauterinen Insemination“ (IUI) brachten 31 von ihnen Kinder zur Welt. Das gleiche Verfahren ohne vorhergehende Hormonbehandlung führte bei einer Testgruppe von 86 Frauen zu 25 Schwangerschaften. Der Grund für das unerwartet schwache Ergebnis bei der Reagenzglasbefruchtung: Die körperlichen und emotionalen Belastungen führen oft zum Abbruch der Behandlung. Fazit der Wissenschaftler: „Die Chancen für eine erfolgreichere Schwangerschaft sind gleich gut. Aber weil die IUI das bessere Kosten-Nutzen-Verhältnis bietet und ohne die Hormonstimulation überdies weniger Gesundheitsrisiken bietet, ist sie die Methode der ersten Wahl.“

Die intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ist die dritte künstliche Befruchtungsmethode, die in Deutschland angewandt wird. Hierbei spritzen Ärzte per Mikropipette ein Spermium in ein reifes, aus den Eierstöcken der Frau entnommenes Ei. Mit der Begründung, es bestehe der Verdacht, dass das Verfahren vermehrt zu angeborenen Fehlbildungen führe, hatte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen jedoch vor drei Jahren ICSI von der Bezahlung durch die gesetzlichen Kassen ausgeschlossen. Diesen Vorwurf wollen Wissenschaftler von der Uni Lübeck nun jedoch widerlegen. Erwiesen ist hingegen, dass Kinder, die mit Hilfe von ISCI im Reagenzglas gezeugt wurden, infertil bleiben können. Vor allem Männer, die wegen verminderter Spermienzahl oder nicht ausgereifter Samenzellen unfruchtbar sind, konnten mit dieser Methode zum ersehnten Nachwuchs kommen. Ihre Unfruchtbarkeit kann dabei jedoch an die Kinder weitervererbt werden.

Eine Alternative zu den klassischen schulmedizinischen Methoden bietet in vielen Fällen ein psychologisch orientierter Ansatz: So wurde an der FH Münster unter Leitung der Psychologin Christine Hölzle eine Kurzberatung für kinderlose Paare entwickelt. Diese hatte ursprünglich das Ziel, die mit der unfreiwilligen Kinderlosigkeit verbundene Lebenskrise zu bewältigen – zeitigte allerdings darüber hinaus einen überraschenden Nebeneffekt: Nach sieben Sitzungen sind knapp 16 Prozent der Teilnehmerinnen schwanger geworden. „Damit erzielte die Beratung eine ähnliche Erfolgsquote wie eine sechsmonatige In-Vitro-Fertilisation an der Uniklinik Münster“, konstatiert Hölzle.

Zu ähnlich positiven Ergebnissen kam ein Forschungsteam der Harvard Medical School in Boston: 184 Frauen, die schon seit ein bis zwei Jahren versuchten, ein Kind zu empfangen, unterhielten sich zwei Stunden pro Woche mit anderen Betroffenen über ihr Problem der Kinderlosigkeit. Eine andere Gruppe wurde mit Techniken vertaut gemacht, mit der psychischen Belastung der Unfruchtbarkeit fertig zu werden. Die Hälfte der Teilnehmerinnen beider Gruppen wurde innerhalb eines Jahres schwanger, in der Kontrollgruppe war es lediglich jede fünfte.

Der Selbsthilfeverein Wunschkind e.V. berät bei ungewollter Kinderlosigkeit, Fehrbelliner Str. 92, 10119 Berlin, Tel. 01805002166, www.wunschkind.de

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