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Einer wie keiner

Globalisierung, Gentrifizierung, Langweilisierung. Auch in Berlin Mitte gibt es nur noch Szenekneipen und Galerien für Spezialisten. Wer Einzigartiges schätzt, geht zum Burger King am Rosenthaler Platz

von TOBIAS RAPP

Eine recht weit verbreitete Theorie besagt in etwa Folgendes: Alles wird immer schlimmer, weil alles immer homogener wird. Die Artenvielfalt im Urwald am Amazonas verschwindet, irgendwelche unbekannten Indianerdialekte verschwinden, traditionelle Musik verschwindet. Das ist Globalisierung. Überall muss alles gleich sein, alles gehört den gleichen Konzernen, nämlich Nike, Coca-Cola oder Burger King. Diese wollen alle Menschen im gleichen Rhythmus zappeln lassen, von New York bis Wladiwostok – alle sollen Konsumenten werden. Und weil Globales und Lokales ja zusammengehören, so wird diese Theorie oft weitergesponnen, fängt dieser Prozess direkt vor der eigenen Haustür an: Da heißt er Gentrifizierung und wird bejammert – die Vielfalt im eigenen Kiez schwindet ja auch, die Eckneipen und Tante-Emma-Läden müssen schließen, und alles sieht gleich aus.

Ob der erste Teil dieser Theorie nun stimmt oder nicht, darüber lässt sich trefflich streiten. Findige Währungsanalysten sollen schon einen BigMac-Index entwickelt haben, der die Stärke einer Währung an dem Verhältnis des BigMac-Preises zum durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen des Landes misst. Der zweite Teil jedenfalls ist Quatsch. Dafür muss man nur einmal zu Burger King am Rosenthaler Platz gehen.

Der Rosenthaler Platz ist einer der schönsten Plätze von Mitte, wenn man eine bestimmte Form von Schönheit zu schätzen weiß. Hier kreuzen sich zwei Straßenbahntrassen, vier Straßen, und es fährt eine U-Bahn. Niemand hält es hier besonders lange aus, hier wird umgestiegen oder man kommt her, weil man etwas will: Drogen etwa, dafür wendet man sich an einen der Fachverkäufer. Oder frisches Gemüse, dafür gibt es die Marktstände, oder Pornos, dafür geht man zu Beate Uhse.

Die meisten, die herkommen, wollen aber etwas essen. Dafür gibt es eine Imbissbude, den einen Dönerladen, der dadurch auffällt, zu riesigen Pyramiden aufgetürmten Krautsalat im Schaufester zu haben, ein italienisches Restaurant und den anderen Dönerladen – den Imbiss „International“. Und Burger King.

Nun kann man tatsächlich auch hier in der Gegend die Tendenz zur Homogenisierung feststellen. Sechs Galerien haben in den vergangenen anderthalb Jahren in der Torstraße eröffnet. Jedes verfügbare Fabrikgebäude ist in den letzten Monaten umgebaut worden, um Platz für Büros zu schaffen, wo sich Agenturen ansiedeln sollen, die sich irgendwie mit Neuen Medien beschäftigen. Die alte Funktion der Torstraße als Demarkationsline zwischen dem schickeren Teil von Mitte und dem Teil, der noch etwas heruntergekommen ist, verschwindet. Alle Kneipen, Restaurants und Bars in der näheren Umgebung aber – vom Maxwell über das Delicious Doughnuts bis zum Dirt und dem Imbiss International – haben ihr spezielles Publikum. Ein Laden jedoch nicht, und das ist Burger King.

Ein beliebiger Nachmittag: Ein Mann und eine Frau mittleren Alters sitzen an einem Tisch, trinken Kaffee und haben irgendwelche Akten vor sich liegen, die aussehen als seien sie der Businessplan für einen Zeitungskiosk. Eine Horde Jugendlicher aus der Gegend sitzen in der Ecke, essen Whopper und sagen „Alta, weeßte Alta?“ Ein Mädchen, das von Kopf bis Fuß dezent Schwarz trägt und dazu weiße Adidas-Turnschuhe und eine Freitag-Plattentasche, bestellt eine kleine Pommes und Cola light. Im ersten Stock machen Kinder Radau, und ein älterer Herr sitzt am Eckfenster und schaut auf die Kreuzung.

Sowohl Gemütlichkeit als auch Schmierigkeit sucht man hier vergeblich. Eigentlich ist suchen hier überhaupt vergeblich suchen, denn das kostet Zeit, und Zeit hat niemand, der hier etwas essen möchte: Man ist schließlich bei Burger King, und das bedeutet Fast Food. Der Raum ist hässlich dekoriert, mit Absicht, kann man fast annehmen. Die Belüftungsrohre sind türkis, die Verkaufstheke ist mit Emblemen verziert, die entfernt an die Wandgestaltung sozialdemokratischer Gesamtschulbauten der Siebziger erinnern. Die Plätze sind nicht besonders bequem, auch das dürfte Absicht sein. Nach der Eröffnung waren die Belüftungsrohre rosa. Damals gab es auch eine Videojukebox, wo man 2 Unlimited oder Kylie Minogue wählen konnte, und wenn gerade niemand Geld eingeworfen hatte, liefen zu endlosen Gitarrensoli Aufnahmen der Rallye Paris–Dakar. Dann gab es eine Weile lang eine digitale Jobbörse, und jetzt kann man im Internet surfen. Zehn Minuten, eine Mark. Macht aber niemand.

Es gibt noch eine nicht ganz so weit verbreitete Theorie, die davon ausgeht, dass alle Läden ein Karma haben. Auf manchen liegt ein Fluch: Wer immer dort etwas eröffnet, geht pleite. Bei den meisten macht es sich nicht bemerkbar, sondern schwebt einfach nur herum. Manche Läden haben gutes Karma. Burger King am Rosenthaler Platz gehört dazu. In den Zwanzigern war hier eine Pinte, wo Franz Bieberkopf herumsaß, Molle trank und nachdachte, zu DDR-Zeiten war hier eine HO-Gaststätte mit unfreundlicher Bedienung. Und heute mischt sich hier Samstag nachts das Publikum, das sich sonst, fein säuberlich nach Musikgeschmack und Szenezugehörigkeit sortiert, auf die umliegenden Läden verteilt. Den Eimer, das Doughnuts, das Kaffee Burger und das T 34. Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun haben, stehen gemeinsam in der Schlange und sinnieren, wie man mit diesem Computer wohl Unfug anstellen könnte, ohne zu bezahlen.

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