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Die Dosierung der Beruhigungsmittel

Morgens auf die Barrikaden, abends zum Fußball: Die libanesisch-französische Filmemacherin Danielle Arbid fragt nach den Verdrängungsmechanismen einer vom Krieg traumatisierten Gesellschaft. Ab morgen zeigt das Filmkunsthaus Babylon in Anwesenheit von Arbid eine Retrospektive ihrer Filme

Arbids hartnäckige Fragen denunzieren das ritualisierte Schweigen

von ANNE KRAUME

In einer Szene ihres Filmes „Aux Frontières“ (2002), erzählt Danielle Arbid, wie ein syrischer Beamter sie nach ihrem Beruf fragt. Ihre Antwort „Regisseurin!“ übergeht er geflissentlich, um in seinen Dokumenten „Hausfrau“ in die betreffende Spalte zu schreiben. Das sei diskreter, erklärt er ihr.

Diese Szene verrät viel über die junge libanesisch-französische Filmemacherin Danielle Arbid. Dass sie selbst diskret sei, wird man nicht behaupten können, sie würde es auch kaum als Kompliment auffassen. Anderer Leute „Diskretion“ in ihren Filmen jedoch als scheinheilig und verlogen zu entlarven, das ist eines ihrer wichtigsten Ziele. Und dass diese Filme – neben „Aux Frontières“ noch ein weiterer großer Dokumentarfilm und verschiedene Mischformen von Dokumentation und Fiction – das mit so einfachen Mitteln tun wie im Fall des syrischen Beamten in „Aux Frontières“, das ist Arbids große Stärke.

Danielle Arbid ist 1970 in Beirut geboren und lebt dort, bis sie achtzehn ist. Kurz vor Ende des libanesischen Bürgerkriegs geht sie ins Exil nach Frankreich, studiert dort Literaturwissenschaft und Journalismus und arbeitet danach als politische Korrespondentin, vorzugsweise über Themen des Mittleren Ostens. Ende des neunziger Jahre kehrt sie zum Filmen nach Beirut zurück und fängt an, Fragen zu stellen. Fragen an die Orte, die Menschen und immer wieder auch an sich selbst.

Ihre Dokumentarfilme zeigen die zerstörten Häuser, die zerschossenen Fassaden, die verlassenen Viertel und entwickeln dabei einen ganz eigenen Begriff von Schönheit. Trotzdem liefern „Seule avec la guerre“ (2000) und „Aux Frontières“ (2002) keine klaren Antworten auf die Fragen, die Danielle Arbid aufwirft. In „Aux Frontières“ fährt sie die Grenzen Israels ab: Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten, um das Land „einzukreisen“, wie sie sagt. In „Seule avec la guerre“ befragt sie in Beirut die ehemaligen Bürgerkriegsgegner – auf der einen Seite christliche, auf der anderen muslimische Milizen – über ihre Rechtfertigungen für den Krieg und über ihr Leben, vor dem Krieg und danach.

Wenn einer dieser Männer ihr erzählt, im Krieg sei er morgens aufgestanden, um an den Barrikaden zu kämpfen, und heute stehe er eben auf, um früh zur Arbeit zu gehen und nachmittags Fußball zu spielen, dann kommentiert Danielle Arbid nichts. Sie fragt noch einmal nach, ob das wirklich keinen Unterschied mache, und bleibt dabei für den Zuschauer die ganze Zeit unsichtbar, man hört nur ihre Stimme. Ihr Gesprächspartner bestätigt, so sei das – und beginnt dann, ein kleines bisschen nervös zu werden. Er müsse gleich los, sonst komme er zu spät zum Fußball.

„Seule avec la guerre“ entwickelt mehr als nur das Psychogramm einer traumatisierten Gesellschaft. Arbids hartnäckige Fragen denunzieren das ritualisierte Schweigen und zwingen zur Stellungnahme. Der Krieg ist vorbei, wir waren damals nicht hier, was hätten wir tun sollen, du selbst bist ja davongelaufen, unsere Vorgesetzten werden schon gewusst haben, was sie taten – die Versuche, sich selbst zu rechtfertigen und die Schuld auf andere zu verlagern oder sie gleich ganz zu verdrängen, ähneln sich. Alle sind verantwortlich, also niemand, stellt die Regisseurin einmal fest und fragt weiter. Und wenn sie dabei immer wieder auf Waffen stößt, von denen sich die Besitzer auch nach Kriegsende nicht trennen wollen – ihr eigener Vater schläft mit dem Revolver unter dem Kissen, der junge Mohamad streichelt während des Interviews sein Maschinengewehr – dann ist ihre Antwort darauf die Zielgenauigkeit der Kamera, mit der sie die Waffen und ihre Besitzer ins Visier nimmt.

Danielle Arbid stellt immer wieder die Frage, warum es denn kein Denkmal für die Opfer des Bürgerkrieges gebe. Diese Frage nach den Verdrängungsmechanismen einer Gesellschaft könnte sinnbildlich über all ihren Libanon-Filmen stehen: In dem Kurzfilm „Raddem – Démolition“ von 1998 geht es um eine junge Frau, die in Beirut nach einer Fotografie ihres zerstörten Hauses sucht. Weil sie unterwegs jedoch zu viele Menschen trifft, deren einziges Ziel es ist, sich nicht mehr erinnern zu müssen, ist am Ende der langen Suche nach dem Bild und der Erinnerung beides auch für sie selbst wertlos geworden. Der Kurzfilm „Conversation de salon“ (2002) braucht die Kulisse der zerstörten Straßenzüge Beiruts erst gar nicht, um das Fortleben des Krieges in den Köpfen der Menschen ebenso zu dokumentieren wie deren beharrliche Versuche, diese Tatsache zu ignorieren. Vier gutbürgerliche Damen unterhalten sich beim Tee nicht nur über ihre Diät, sondern eben auch über die Schrecknisse des Krieges und über die richtige Dosierung der Beruhigungsmittel, die sie auch jetzt, zehn Jahre später, noch immer brauchen, um schlafen zu können.

Besonders die Dokumentarfilme gehorchen einer inneren Notwendigkeit: Jeder, den Danielle Arbid befragt, trägt sein Teil zu ihrem Projekt bei – egal wie bereitwillig und wie ausführlich er Auskunft erteilt. Einmal klopft sie an eine große dunkle Tür, hinter ihr ruft man: „Die Tür nebenan, nicht dort, nebenan!“, sie klopft nebenan, hämmert noch einmal an die erste Tür, dann wieder an die zweite. Welche der beiden Türen verbirgt welche Geschichte? Keine von beiden wird geöffnet. Aber jede wäre die richtige gewesen.

Die Filme von Danielle Arbid laufen vom 10. bis zum 15. Oktober im Filmkunsthaus Babylon. Am 10., 11., und 12. Oktober wird Danielle Arbid ihre Filme mit dem Publikum diskutieren

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