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Kein Handtäschchen-Rascheln

Johan Simons herzensguter Richard III eröffnet „Theaterformen“ in Braunschweig

Fürsorglich empfängt das siebte Festival Theaterformen die Gäste: Die Scheiben am Ausgang des Braunschweiger Bahnhofs haben die Veranstalter mit Absperrband in Achtung-Achtung!-Gelbschwarz beklebt. So rennt man nicht dagegen und findet zielsicher den Weg durch die sich automatisch öffnenden Glastüren.

Die Fürsorge ist verständlich. Denn für Land und Stadt haben die „Theaterformen“ eine „Leuchtturmfunktion“ – auch im Hinblick auf Braunschweigs Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas. Dort und in Hannover gastieren bis 19. Juni 19 Ensembles aus 12 Ländern. Das Gesamtbudget liegt bei 1,7 Millionen Euro. Hoher Einsatz – da möchte man nicht vor den Kopf stoßen. Stattdessen will man „REpublicACTION“, so steht’s auf den Aufklebern. Frei übersetzt: nicht die Kunst bildet den Mittelpunkt, sondern das Publikum soll zurückfinden in die Actionstar-Rolle.

Das Politische am Theater sei der Zuschauer – so hatte Festivalleiterin Veronica Kaup-Hasler in ihrer Eröffnungsansprache verkündet. Und ins Programmheft geschrieben: „Ohne das verächtliche Schnaufen des Gelangweilten und das Kichern aus den Reihen, ohne das Rascheln in Damenhandtaschen und das Pfeifen von Hörgeräten fehlt dem Theater die Essenz“. Hübsche Theorie, die in Braunschweig aber recht grau wirkt. Ist das stilvoll zurückhaltende Publikum doch nur durch „den konzentrierten Umgang mit Texten“ zu begeistern, wie Intendant Wolfgang Gropper das sonst am Staatstheater Braunschweig verhandelte Schauspiel-Konzept beschreibt.

Warum er dies auch als Festival-Programmatik erkannt haben will, bleibt sein Geheimnis. Denn die Ästhetiken der Gastspielregie-Stars von Marthaler, über Castorf bis Pollesch bieten alles andere als klassisches Geschichtenerzähl-Theater. Und so reagieren die Braunschweiger auch reserviert am Eröffnungsabend mit Johan Simons „ZT Hollandia“-Ensemble. Kein Schnaufen, die Handtäschchen bleiben zu, die Hörgeräte aus.

Was ist geschehen? Klassisches Regietheater! Thema: Shakespeares Richard III. Der Großschurke der Weltdramatik, der uns als virtuoser Rhetor, Machtmissbrauchs-Manipulator und Showmaster der Heimtücke beweist: Wer Macht will, muss brutal sein. Das ist immer aktuell. Und Simons rückt es noch weiter heran.

Der Regisseur versetzt Täter, Opfer und Zuschauer in dieselbe Situation: Kunstbetrachter im Theater sitzen Kunstbetrachtern auf der Bühne gegenüber. Shakespeare wird in einem Museumsraum gegeben. Schauspieler als Museums-Besucher suchen nach der Wahrheit. Ihr Spiel: Reduktion. Alles Theatrale raus, das Monster auf Konversationston heruntergedimmt, Atmosphäre rein: Lounge-Musik, darüber Aasfliegengesumm.

Darunter erleben wir einen Richard, wie wir ihn noch nie gesehen haben. Der satanische Bösewicht kommt wie Otto Normal-Ekel daher, aber mit melancholischem Charme und übler Kindheit. Seine Mutter berichtet von vergeblichen Abtreibungsversuchen. Sie habe das Kind auch „nie gestreichelt“. Da hockt es nun: beziehungsgehemmt, sauberkeitsfanatisch, traurig. Ein aktives Alter Ego muss her: „Treue“, der Killer. Mit Tomatensaft wird Blutsbrüderschaft getrunken.

Für die Aufführung hat man viel Shakespeare gestrichen – und neue Texte eingefügt, von Orpheus über christliche Gebete bis hin zu Martin Luther Kings „I have a dream“: Friedfertige Gedanken, in deren Namen Gewalttaten begangen wurden. Darum geht es Simons. Er inszeniert einen eisigen Blick auf die Mechanismen des Idealismus. Sein Richard will Erlöser sein, alles Böse auf sich vereinen, um sich dann selbst und damit das Böse, das Tier im Menschen, zu vernichten. „Geht nur“, faucht „Treue“ ins Publikum. Das dann geht. Und offenbar gern etwas über Shakespeares Richard III erfahren hätte. Jens Fischer

Programm: www.theaterformen.deKarten BS: ☎ (05 31) 123 45 67Karten H:☎ (05 11) 99 99 11 11

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