: Deutsch–Deutsche Einheit gegen Flüchtlinge
■ Regierungssprecher Ost lobt nach Einigung in Asylfragen „gutnachbarliche Beziehungen zur DDR“ / Alle Parteien begeistert / Harte Kritik nur von den Grünen
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Während die DDR– Zeitungen gestern kommentarlos bekanntgaben, daß Ost–Berlin in Zukunft Flüchtlingen ohne Visum für die Bundesrepublik die Durchreise verweigern werde, sparten die Politiker der Bonner Parteien - mit Ausnahme der Grünen - gestern nicht mit begeisterten Kommentaren. Als „Beitrag zur erweiterten Entwicklung gut nachbarlicher Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten“ lobte Regierungssprecher Ost gestern das „Entgegenkommen der DDR“. Der Stellvertretende FDP– Fraktionsvorsitzende Hans–Günter Hoppe, äußerte sich befriedigt, daß die deutsch–deutschen Beziehungen nun von einem „belastenden Thema“ befreit seien. Die CSU kündigte nach dem Bekanntwerden der Vereinbarung an, man müsse jetzt überdenken, ob man weiterhin auf der Grundgesetzänderung insistieren werde. Das peinliche Wahlkampfgerangel darum, welche Partei sich nun den Verdienst anheften dürfe, dank der DDR die Bundesrepublik „asylantendicht“ gemacht zu haben, wurde gestern von der FDP um eine Variante bereichert. Fortsetzung auf Seite 2 Tagesthema auf Seite 3 Kommentar auf Seite 4 Nicht Johannes Rau oder Egon Bahr und auch nicht Kanzleramtsminister Schäuble hätten das Abkommen zustande gebracht, sondern Außenminister Genscher. Während in Asylfragen engagierte Gruppen gestern zu dem folgenreichen Abkommen schwiegen, übten die Grünen Kritik an der SPD. Sie habe sich zum „Vollzugshelfer einer fremdenfeindlichen Asylpolitik“ gemacht. Die Grünen kündigten ihren Protest bei der DDR–Staatsführung gegen den „Verhandlungsschacher auf dem Rücken der Asylsuchenden“ an. Die Grünen sehen sich von der DDR–Führung „geleimt“, denn noch vor 14 Tagen hatte man einer Grünen Parlamentarier–Delegation versichert, Ost–Berlin sei nicht zum Einlenken in der Asylfrage bereit. Die SPD wird das „Asylproblem“ zum Wahlkampfthema machen. SPD–Sprecher Clement kündigte gestern an, seine Partei werde mit einer bundesweiten Flugblattaktion auf ihr Verdienst bei der Einigung mit der DDR hinweisen. In Bonn verstärkten sich gestern die Hinweise darauf, daß die Bundesregierung das Abkommen mit der DDR durch ihre Unterschrift unter das deutsch–deutsche Umweltabkommen erkauft hat. Regierungssprecher Ost dementierte zwar entsprechende Berichte der Grünen, kündigte aber einen baldigen Abschluß dieses Umweltabkommens an. Auch der Hinweis, die Vereinbarung mit Ost–Berlin mache den Weg zu weiteren gesamtdeutschen Abkommen, wie z.B. dem Abkommen über wissenschaftlich–technische Zusammenarbeit frei, läßt kaum noch einen Zweifel daran, daß Bonn der DDR–Führung einen Preis für das „gestopfte Loch in der Mauer“ geboten hat.
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