: „Der sicherste Reaktor der Welt“
■ Brokdorf soll fünf Monate nach Tschernobyl ans Netz Dubioses Sicherheitssystem gegen den Super–GAU
Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - Ganze fünf Monate nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl soll in der Bundesrepublik wieder ein Atomkraftwerk neu in Betrieb genommen werden. Die schleswig–holsteinische Landesregierung hat am Dienstag die Inbetriebnahme des seit zehn Jahren heftig umkämpften AKW Brokdorf noch für den Monat Oktober angekündigt. Der 1.300–MW–Reaktor soll am Freitag die Betriebsgenehmigung erhalten. Mitte Oktober werde die erste Kettenreaktion erfolgen. Die Genehmigung für Brokdorf sollte eigentlich bereits im Sommer erteilt werden, war aber unmittelbar nach dem Unfall in der Ukraine politisch nicht opportun: Ministerpräsidet Barschel intervenierte und kündigte weitere Sicherheitsüberprüfungen an. Das Ergebnis dieser Überprüfung wurde jetzt der Öffentlichkeit präsentiert: - eine Nachrüstung sei nicht erforderlich, - das Sicherheitssystem entspreche dem neuesten Stand, - für den „nach menschlichem Ermessen ausgeschlossenen“ Fall der Kernschmelze (Super–GAU) werde aber dennoch ein zusätzliches Sicherheitssystem installiert. Damit, so Barschel, habe Brokdorf jetzt einen Sicherheitsstandard, den es bei keinem anderen Druckwasser–Reaktor gebe. Brokdorf sei der „sicherste Kernreaktor der Welt“. Das jetzt groß herausgestellte zusätzliche Sicherheitssystem ist ein weiteres Überdruckventil mit Filtern, das in Bereitschaft gehalten und im Falle einer Kernschmelze „innerhalb von 24 Stunden“ nachträglich eingebaut werden soll. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 In der Logik der Betreiber soll damit eine Zerstörung des äußeren Sicherheitsbehälters verhindert werden, weil die radioaktiven Dämpfe, die das Containement sprengen könnten, dann „kontrolliert“ über Filter „freigesetzt“ würden. „Das ist eine Beruhigungspille für die Bevölkerung und sonst gar nichts“, erklärte gestern ein Sprecher des Darmstädter Öko–Instituts zur neuen Super–Sicherheit von Brokdorf. Die zusätzliche Druckentlastungseinrichtung sei bei allen explosionsartigen Unfallverläufen, wie etwa in Tschernobyl, völlig wirkungslos, zumal sie erst noch installiert werden müsse. Lars Hennings von den schleswig–holsteinischen Grünen kündigte an, daß alle Kräfte, die den Ausstieg mittragen, jetzt gegen den in Brokdorf betriebenen weiteren Ausbau der Atomenergie mobilisiert werden müßten. Für den sogenannten Tag X, die Inbetriebnahme des AKW, sind Aktionen und Demonstrationen geplant, die gegenwärtig noch diskutiert werden. Die SPD in Schleswig–Holstein und auch der Hamburger Senat, wollen gegen die Inbetriebnahme klagen. Bisher habe Barschel das AKW als den unübertreffbaren Sicherheitsreaktor hingestellt, und nun finde man in wenigen Wochen doch noch eine weitere Sicherheitsstufe, kritisierte der schleswig–holsteinische Oppositionschef Björn Engholm. Die SPD hat eine Sondersitzung des Kieler Landtags beantragt, die am Freitag stattfinden wird. Ministerpräsident Barschel präsentierte sich unterdessen auch als Waldschützer: Mit der Inbetriebnahme von Brokdorf könne man endlich alte Kohlekraftwerke abschalten, und 11.700 Tonnen Schwefeldioxid und 14.000 Tonnen Stickoxide weniger ausstossen. Zudem sei es ökonomisch unverantwortlich, ein seit 15 Jahren geplantes, vier Milliarden DM teures Kraftwerk nicht ans Netz gehen zu lassen.
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