piwik no script img

Nachbarschaftshilfe für AKW–Ausstieg der DDR

■ Eine Delegation dänischer Bürgerinitiativen wurde in Ost–Berlin höchst offiziell empfangen / Gespräche von großer Offenheit und Freundlichkeit / „Vorsichtige Neuorientierung“ der DDR–Energiepolitik / Pressekonferenz in West–Berlin

Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - „Unsere Gespräche in der DDR waren zehnmal offener und freundlicher als in Schweden.“ Fast schon begeistert über ihren Ost–Berlin–Besuch berichtete gestern eine Delegation von dänischen Bürgerinititativen über ihre Gespräche mit Energie– Experten der DDR. Die Dänen hatten ihren Augen nicht getraut, als sie von der DDR–Regierung zu diesem Energie–Dialog eingeladen worden waren. Sie hatten zuvor im Rahmen ihrer Aktion „Strahlende Nachbarn - nein danke“ alle Nachbarländer angeschrieben und auf die Gefahr der grenznahen Atomkraftwerke für die dänische Bevölkerung hingewiesen. 162.000 Unterschriften - im atomfreien Dänemark nach dem Tschernobyl–Unfall gesammelt - unterstützten ihre Kampagne gegen die insgesamt acht ausländischen Atomkraftwerke direkt vor der dänischen Haustür.Als erstes Land reagierte Schweden, wo ebenfalls eine De legation dänischer Anti–Atom– Aktivisten empfangen wurde, dann kam die Einladung aus der DDR. Die Namen der Ost–Berliner Gesprächspartner, die Siegfried Christiansen gestern der staunenden West–Berliner Presse präsentierte, zeigen, daß die dänischen Atom–Gegner nicht mit der dritten Garnitur abgespeist wurden: Günter Heinze, stellvertretender Minister für Wissenschaft und Technik, Georg Sitzlack, Präsident des staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz, und der Abteilungsleiter Westeuropa im Außenministerium der DDR, Joachim Mitdank, stellten sich der Diskussion mit den Besuchern.Neben ihrer Maximalforderung nach Abschaltung des DDR–Atomkraft–Parks in Greifswald hatten die Dänen eine ganze Reihe von leichter erfüllbaren Wünschen im Gepäck, die in einem „Tenor der Offenheit“ besprochen worden seien. Sie forderten: - Einsicht in die Sicherheitsberichte über das AKW Greifswald, wo die DDR vier Reaktoren von jeweils 440 Megawatt betreibt, zur Risiko–Abschätzung durch internationale Wissenschaftler; - Begehung des AKW Greifswald und der AKW–Baustelle in Stendal, wo bis 1991 ein weiteres Atomkraftwerk der DDR ans Netz gehen soll; - Veröffentlichung eines Artikels über das atomstromfreie dänische Energiekonzept in einer DDR–Zeitung; - Mitarbeit der DDR an einem gesamteuropäischen Ausstiegsszenarium; - eine Möglichkeit für westeuropäische Wissenschaftler, Energiesparkonzepte darzustellen. Konkrete Erfolge konnten die AKW–Gegner allerdings nur in wenigen Punkten vorweisen. So wurde der Blick in ein DDR– Atomkraftwerk ebenso verweigert wie die Einsicht in die Sicherheitsberichte. Dagegen soll das dänische Energiekonzept in einer DDR–Zeitung tatsächlich veröffentlicht werden. „Wir können den Artikel schreiben“, freute sich Christiansen.Insgesamt wollen die Dänen zwar keine grundsätzliche Kursänderung der DDR in ihrer Atompolitik ausgemacht haben, aber eine vorsichtige Neuorientierung und vor allem ein großes, ökonomisch leicht erklärbares Interesse an Energiesparkonzepten. Die DDR habe gegenwärtig einen Energieverbrauch, der pro Kopf um zehn Prozent höher liege als in der Bundesrepublik und um fünfzehn Prozent höher als in Dänemark. Hier sei, dies unterstrich auch der dänische Wissenschaftler Nils Meyer, ein riesiges Einspar–Potential vorhanden, das die DDR auch nutzen wolle. Die DDR–Regierung machte ihren Gästen noch ein weiteres Zugeständnis. Sie gab ihnen durch „Nichteingreifen der Sicherheitsorgane“ die Gelegenheit zu Gesprächen mit unabhängigen AKW–Gegnern vor allem aus dem kirchlichen Spektrum. Wie schon berichtet, läuft auch in der DDR eine - noch bescheidene - Unterschriftensammlung für den Ausstieg aus der Atomenergie. Der frühere AL–Abgeordnete und DDR–Energieexperte Martin Jaenicke bestätigte die Eindrücke der dänischen AKW–Gegner. Auch er habe in einem Gespräch mit dem Volkskammer–Präsidenten Horst Sindermann eine viel skeptischere Haltung der DDR zur Atomkraft herausgehört. Die Atomenergie werde der DDR zu teuer. Jaenicke glaubt nicht mehr daran, daß die DDR ihr AKW–Projekt in Stendal, wo insgesamt zwei 1.000–MW–Blöcke entstehen sollen, verwirklichen werde. „Die buddeln da noch ein bißchen rum“, so Jaenicke, aber die staatliche Energieplanung setzt jetzt verstärkt auf die kostengünstigere Braunkohle und umweltfreundliche Entschwefelungsverfahren. In Sachen Entschwefelung ist die DDR durchaus auf westliche Nachbarschaftshilfe scharf. Auch hier konnten die dänischen AKW–Gegner von dänisch–deutschen Gesprächen berichten, die allerdings auf offizieller Ebene in Kopenhagen geführt worden seien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen