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Ätherbegegnungen der unheimlich seichten Art

■ Die öffentlichen Rundfunkanstalten passen ihre Programmstruktur der Konkurrenz mit den Privatsendern an / Die seichten Wellen sind im Kommen: „RIAS 2“ gilt als ein Beispiel / Barry Graves, lange Moderator und Discjockey beim „RIAS–Treffpunkt“, plaudert aus dem Nähkästchen

Von Barry Graves

„Zehnuhrdreiundvierzig thegreatestloveofall diesmalvonannehaigis undhierkommendiefourhundredblows letthemusicplay“, hechelt sich die Moderatorin ab, und wir verstehen goar nix. Sie sagt dann noch“ „...war das, und hier kommt...“ oder „10 Uhr 43, und nun gibt es...“ oder „11 Uhr und wir haben...“ oder auch „... und hier kommen...“ - damit hat sichs auch schon, was die Information angeht. So sendet sich RIAS 2 seit September letzten Jahres durch Tag und Nacht und beschert den West–Berliner Funk– Konsumenten nun auch eine Ätherbegegnung der unheimlich seichten Art. Überall in der Republik ist Privatfunk angesagt. Mehr Vielfalt wird versprochen, viel mehr Einfalt wird geboten. Kaum ein Sender, von „Radio Schleswig Holstein“ im Norden bis zum „Radio Xanadu“ in München, kann mit irgendeiner Programm–Idee aufwarten, die den ARD–Stationen nicht auch schon längst eingefallen ist. Die privatwirtschaftliche Konkurrenz zu NDR und Co. hat sich bisher weder politisch frecher erwiesen noch vernachlässigte Minderheiten zu Musik und Wort kommen lassen oder in der Präsentationsform Akzente für die achtziger Jahre zu setzen versucht. Sendeanstalten verschleißen die letzten guten Leute Das jämmerliche, hingeschluderte Programmangebot läßt einen geradezu süchtig nach dem biederen ARD–Funk werden. Dort gibt es viele gute Leute, die mit Engagement und klugen Ideen angefangen haben. Aber dann wurden sie durch die Proporz– Kungelei verschlissen und im Gremien–Gezänk aufgerieben. Wieviel schöner, sollte man meinen, haben es da die Privatsender, die doch frisch und fröhlich drauflos senden könnten. Doch da geht es um Macht, Marktanteile und Gewinn–Margen. Radio für Marketing–Experten Die neue Radio–Ära ist die Spielwiese der Banken, Medienrechtler, Wirtschaftsprüfer, Marketing–Experten und Kommunikations–Statistiker. Wer sich diesen aufwendigen Konzern–Apparat nicht leisten kann, mag zehnmal das intelligentere, hörerfreundlichere Sendekonzept im Schnellhefter haben - keine Chance gegen Bauerburdabertelsmann und ihre Epigonen auf lokaler Ebene. Bei dieser hemmungslosen Goldgräber–Hysterie kann sich dann beispielsweise der kulturell sonst so geschmäcklerische West–Berliner Tagesspiegel auf einmal eine Äther–Allianz mit dem unbarmherzig heiteren Entsorgungs–Sender „Radio Luxemburg“ vorstellen. Klingende Lustseuche RIAS 2 Die neue Betriebsamkeit in Kabel und Luft läßt natürlich die ARD–Stationen nicht mehr so sanft ruhen wie bisher. Radio Bremen wird eine neue Pop–Welle über Norddeutschland schwappen lassen, der NDR fragt sich durch alle Statistik–Büros, warum ihm denn das Billig–Amüsement von „Radio Schleswig–Holstein“ nahezu alle Hörer weggenommen hat, der Bayrische Rundfunk hat sich Thomas Gottschalk als Spezialberater für Teenager–Beschallung geleistet, und auch der SFB wird in Kürze einen neuen Rock– Kanal anstechen, um der klingen den Lustseuche RIAS 2 das Wasser abzugraben. Der von deutschem Personal betriebene US– Sender konnte nämlich seine Einschaltzahlen binnen eines Jahres von vier auf 26 Prozent hochtreiben. Das ist das Verdienst der CDU und ihrer Jungen Union, die im RIAS nahezu alle Schlüsselpositionen besetzt hat. Eigentlich sollte sich für den „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ eine derart ungenierte bundesdeutsche Parteienwirtschaft verbieten, denn RIAS ist eine Einrichtung der United States Information Agency, einer Propagandabehörde der amerikanischen Regierung. Doch das Geld zum Betreiben des Senders, etwa 70 Millionen Mark (wir dürfen spekulieren, da der RIAS jede Auskunft verweigert), kommt wohl zu 90 Prozent aus dem Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen, möglicherweise auch aus Etatmitteln des Bundeskanzleramtes. Das ist nicht verwunderlich, denn „der RIAS ist dazu da, den Ostberlinern und der DDR Inhalte zu bieten, die in der DDR nicht vermittelt werden, und westliches Lebensgefühl zu spiegeln“ - so der inzwischen abgehalfterte langjährige Programmdirektor Prof. Herbert Kundler. Der hatte „versucht, unsere von der Gesamtkonzeption her nicht zu Radio–Luxemburg–Akzeptanzen führende Programmgestaltung durch unorthodoxe, medienwirksame Programmbestandteile besonders attraktiv zu machen.“ Tatsächlich konnten beispielsweise die Literatur–Abteilung, das ambitionierte Hörspiel–Ressort und der Bildungs–Funk Detente–Radio machen, das so gar nicht dem Klischee vom „Hetzsender RIAS“ entsprach. Damit ist es nun, zumindest auf einer Frequenz, vorbei. Stattdessen werden die Millionen des bundesdeutschen Steuerzahlers für eine himmelblaue Service–Welle verpulvert, bei der alle Probleme dieser Welt zwar pro forma angerissen, aber ganz schnell durch flotten Disco–Beat hinweggedröhnt werden. „Wissenschaftliches“ Sendeprofil RIAS–2–Programmchef Gerhard Besserer glaubt den Amis abgelauscht zu haben, wie man Rundfunk am laufenden Meter macht: In Redaktion und Studio wird ein großes Zifferblatt hingepappt, auf dem penibel vorgeschrieben ist, in welchem Teil der Sendestunde der entmündigte Discjockey welche „Klangfarbe“ anzubieten hat. Hier ein Oldie gefälligst, dort ein neuer Titel, der gepuscht werden soll, da ein Hit und schließlich auch - man glaubt es kaum - ein paar Minuten für den privaten Musikgeschmack des Söldners am Plattenspieler. Solche Tabellen müssen sein, weil sie in Amerika doch auch so „wissenschaftlich“ vorgehen. Da wird alles statistisch ausgelotet nach Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen des „Hörermarktes“, da werden psychologische Zuhörprofile erstellt - und wenn der Computer seine Listen fertig hat, kann der „consultant“ das „format“ des Senders entwerfen. Das ist dann die akustische Duftmarke, die einem helfen könnte, sich durch den Klang–Dschungel von bis zu 40 Radiostationen in einer Stadt zu seinem Lieblingssender durchzukurbeln. Aber es muß irgendwie am Computer liegen: Die meisten der 8.368 Radiostationen zwischen Harlem und Honolulu klingen alle gleich: gleiche Platten, gleiche Ansagemasche. Das Radio ist an, doch die Hörer nehmen den Sender nur als Muzak wahr, als Hinter grund–Sound, wie er in Flughäfen und Fahrstühlen säuselt und plätschert. Dementsprechend wird im RIAS auch ständig die Zeit angesagt. Wer fährt bloß auf solchen Bahnhofsrundfunk ab? Ätheranimateure zum Fürchten gut aufgelegt Obendrein bildet der mit System betriebene Verschleiß von Lehrlings– oder Gast–Moderatoren keine Personalities heraus, sondern schafft höchstens zum Fürchten gut aufgelegte Äther– Animateure. Einen solchen Rundfunk lassen die Hörer natürlich sofort im Stich, wenn eine andere Welle dem Plätscherpop–Affen noch mehr Zucker gibt. Es ist geradezu erschreckend, wie konventionell die neuen Macher ihre Stunden herunterreißen. So was lief früher als Verlegenheitsband „Tanz ohne Pause“, wenn der Moderator krank war oder eine technische Panne eine Übergangsregelung erforderte. Zudem kupfern Programmänderungs–Schneider wie der RIAS– Yuppie Besserer dabei angegilbte Schnittmuster eines US–Radios ab, wie es - peinlich, peinlich - selbst in den USA als antiquiert gilt. USA–Trend zum „Vordergrund–Radio“ „Wir sind ein Vordergrund– Radio“, sagt Scott Shannon von WHTZ (Großraum New York). Sein auch „Z–100“ genannter Sender stieg binnen drei Jahren zur Top–Station Amerikas auf. Das Erfolgsrezept? „Wir machen Parkplatz–Radio“, sagt Shannon. „Wir beziehen die Hörer so ein, daß sie in ihren Autos sitzen bleiben und von unseren Radio–Persönlichkeiten ganz gefesselt sind.“ Greg Solk, Programmchef von WLUP (Chicago) demontiert ein anderes Tabu bundesdeutscher Klangzerstäuber: „Der tollste Tag in meiner Rundfunk–Karriere war, als ich bei diesem Sender anfing und gleich mit der hysterischen Angst vor dem gesprochenen Wort Schluß machte.“ Die neudeutschen Radioveranstalter bilden sich nämlich ein, viel gesprochenes Wort vertreibe die Hörer. Super–Star–DJ Howard Stern vom WXRK (New York), der sein Drei–Stunden–Programm jetzt täglich landesweit anbietet, „redet RocknRoll“, wie sein Programmchef sagt. Und da kann er so lange reden, wie er will. Ausgelutschte Hits Die Plattenfirmen haben sich - verständlich - zunächst über so viel neue Sendezeit für ihre Pop– Produkte gefreut. Aber inzwischen sind sie doch sehr nachdenklich geworden. 17mal am Tag „True Colors“ oder „Rage Hard“ - warum soll sich da einer noch Platten kaufen, die er nach einer halben Woche nicht mehr hören kann? Obendrein wird die Musik nicht durch kundige Hintergrund– Berichte farbig, die Rock– und Pop–Szene gewinnt keine Konturen. Damit betreiben RIAS 2, RSH und all die anderen Tingelwellen die Zerstörug der Populärkultur, die sie doch angeblich besonders fördern wollen. Die Konsumsender kreiieren nichts mehr, sie geben sich nicht mehr entdeckungsfreudig, sie kopieren die Hitparaden und potenzieren den Erfolg der ohnehin schon Hochgejubelten. Außenseiter haben keine Chance. Individualismus wird ausgeblendet. Gräßlicher amerikanischer Knödel–Pop gilt als „geil“; die vitale Szene Englands oder gar Frankreichs, Spaniens und anderer EG–Länder fehlt völlig. Der neue Kommerzfunk (ob nun mit oder ohne Werbung) ist die Kapitulation des kreativen Radios vor dem ordinären Massengeschmack, der - das ist die Perfidie - erst herbeigeredet wird, damit man ihn ohne Reue befriedigen kann. Das Patentrezept „so publikumswirksam wir möglich, aber auch so anspruchsvoll wie nötig“ wird noch nicht einmal im Ansatz befolgt. Für diesen geschmacklosen Radiostil gilt, was Knut Hicketier vom Fachservice „epd“ über RIAS 2 schrieb: „Zur Frittenkultur, zu den hot dogs und zu McDonald paßt (er) ganz sicherlich.“

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