Laudatio auf einen unbeantworteten Brief

■ Verleihung des Gustav–Heinemann–Preises an die Braunmühl–Brüder / Aus Rastatt Max T. Mehr

Kaum hatte die Diskussion über die Linke und die RAF Ende letzten Jahres in der taz mit einem offenen Brief der Brüder des ermordeten Gerold v. Braunmühl an dessen Mörder begonnen, war sie auch schon wieder zu Ende. Eine politische Auseinandersetzung fand im Wesentlichen nicht statt. Gestern wurden die Braunmühl–Brüder für ihr Bemühen um einen Dialog mit dem mit 20.000 DM dotierten und von der SPD verliehenen Gustav–Heinemann–Bürgerpreis ausgezeichnet.

„Wir alle und der Staat sind gefragt, ob der Weg der Brüder Braunmühl nicht besser geeignet ist, den Terrorismus in unserem Land zu überwinden.“ Als Johannes Rau am Sonntag morgen im überfüllten Rastatter Schloß, an diesem republikanischen Ort mitten in Baden, den Brüdern Braunmühl den Gustav–Heinemann– Bürgerpreis überreichte und die Urkunde, in der diese Frage enthalten ist, verlas, da war, nachdem die fünf Brüder ihn entgegengenommen hatten, zumindest ein politischer Durchbruch erreicht. Zum erstenmal seit diesen Briefen hat ein Vertreter einer der etablierten Parteien diesen Versuch einer anderen Auseinandersetzung mit der RAF positiv und vor allem öffentlich aufgegriffen. Auch wenn im Vorfeld der Preisverleihung sich der Eindruck aufdrängen konnte, daß die Brüder hier einen Trostpreis bekommen haben, weil ihr Versuch, sich an die unbekannten Mörder zu wenden und diese öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen, bisher scheiterte und ohne Antwort geblieben ist, so hat sich dieser Eindruck in Rastatt schnell verflüchtigt. Es war zu spüren - und im Gespräch mit dem Kuratoriumsvorsitzenden Posser, der sich vehement für die Preisträger stark gemacht hatte, kam es zum Ausdruck -, daß auch in der SPD darüber nachgedacht wird, etwas dafür zu tun, daß die eingeschliffenen staatlichen Reaktionen, auf jeden Mordanschlag neue Anti–Terror–Gesetze folgen zu lassen, vielleicht doch den falschen Weg markieren, den Terrorismus zu überwinden. Posser ist Finanzminister in Nordrhein–Westfalen, und man wird sehen, wie sich eine solche Rede in praktische Politik umsetzt. Vor laufenden Fernsehkameras hatte Heinrich Albertz in seiner Laudatio noch einmal darauf hingewiesen, daß es typisch gewesen sei für dieses Land, „daß praktisch alle seriösen Zeitungen, oder die, die sich dafür halten, zu fein waren“, die Briefe abzudrucken und das Signal der Brüder aufzugreifen. „Außer den Schmuddelkindern von der taz.“ Überraschend sei es gewesen, daß in dieser „viel beredeten“ taz eine Flut von Leserbriefen zu diesem Thema nicht nur einging, sondern auch veröffentlicht wurde, und ein getreues Spiegelbild der furchtbaren Verwirrung, aber auch Verzweiflung vieler junger Menschen wiedergab. Albertz endete damit, daß er der Familie Braunmühl, die diese Briefe nicht nur mitgetragen, sondern auch mitdiskutiert hatte, dankte und das Publikum darum bat, wann immer es nützlich und nötig erscheine, diesem Beispiel zu folgen. Es hat bei dieser Veranstaltung sehr viel Beifall gegeben, und es waren neben vielen Freunden der Braunmühls auch Rastätter Bürger anwesend, die den Reden Beifall zollten. Aber niemand weiß, auch die Brüder Braunmühl nicht, was diejenigen denken, die nicht geklatscht haben, und was sie aus dem sicherlich schwierigen Weg, den die Familie mit ihrem Offenen Brief gegangen ist, mitgenommen haben, was sie damit anfangen können und werden. Durch die Rede von Carl Christian von Braunmühl und durch die Entscheidung der Brüder, die Preissumme von 20.000 DM an den Rechtshilfefonds für Peter Jürgen Boock, den das Komitee für Grundrechte und Demokratie eingerichtet hat, weiterzuleiten, geriet die Veranstaltung zur feierlichen Provokation in diesem festlichen Saal des Schlosses. Verknüpft war die Weitergabe der Preissumme mit dem ausdrücklichen Wunsch, mit dieser Handlung dazu beizutragen, daß ein Urteil gefunden werde, das als ein Signal der Versöhnung zu verstehen sei. Carl Christian von Braunmühl dankte in seiner Rede ausdrücklich den Kindern und der Ehefrau Gerold von Braunmühls, denn nicht nur er und seine Brüder alleine hätten den Preis verdient.