: I N T E R V I E W „Zurück nach Chile - selbst in die Zelle!“
■ Juan Pablo Cardenas, Chefredakteur der größten Oppositionszeitschrift Chiles, Analisis, gab der taz ein Interview, bevor er nach Chile zurückkehrte und letzte Woche verhaftet wurde
Im Mai konnte Cardenas in Finnland den Preis des internationalen Verlegerverbandes, die „Goldene Feder der Freiheit“, entgegennehmen. Auf seinem Rückweg nach Chile kam er auch in die Bundesrepublik. taz: Bis 1984 hatte das Erzbistum Santiago Euch geschützt, indem es die Schirmherrschaft für Analisis übernahm. Was passierte, als man Euch diesen Schutz entzog? Cardenas: Schon wenige Monate später wurde ich zum ersten Mal festgenommen und hatte den ersten meiner Gerichtsprozesse. Mittlerweile sind es mehr als neun. Zweimal wurde Analisis geschlossen. Das erste Mal für sieben Monate, für vier Monate beim zweiten Mal. Aber während dieser Zeit haben wir es nicht nur geschafft, uns über Wasser zu halten, sondern wir konnten sogar alternative Kommunikationsmedien entwickeln. Sie waren besonders nützlich während des Belagerungszustandes, als die Desinformation besonders akut wurde. Gleichzeitig haben wir der Regierung gezeigt, daß unser Wille sehr stark ist und sie uns unter keinen Umständen zum Schweigen bringen werden. Die dramatischste Situation haben wir im vergangenen Jahr erlebt, als unser Redakteur für Internationales, Jose Carrasco, entführt und ermordet aufgefunden wurde. Mit 14 Kugeln in den Kopf. Das hat große Angst ausgelöst, nicht nur bei uns, sondern bei allen demokratischen Journalisten. Warum hat man Carrasco ermordet? Sie haben eine herausragende Persönlichkeit für ihre terroristische Operation gewählt. Nach dem Putsch 1973 war er verhaftet, brutal gefoltert und ins Exil gechickt worden. Ein paar Jahre später kehrte er zurück, arbeitete als Journalist und hatte einen wichtigen Einfluß innerhalb der MDP (“Demokratische Volksbewegung“). Seinen Mut und seine Intelligenz bezahlte er dann mit dem Leben. Mit welcher Begründung bist du diesmal verurteilt worden? Mitte letzten Jahres hat die Regierung einen Prozeß gegen 29 Journalisten und Mitarbeiter von Analisis angestrengt. Ein grotesker Prozeß, in dem sie uns anklagten, gegen das „Gesetz für die Innere Sicherheit“ verstoßen zu haben. Aber in Chile weiß jeder, daß der Oberste Gerichtshof völlig der Regierung unterworfen ist. In Chile existiert keine Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Chile ist kein Rechtsstaat. Welche Rolle spielt Analisis im chilenischen Journalismus und in der aktuellen politischen Situation? Unsere Zeitschrift ist ein Symbol für Chile geworden im Kampf, den alle Chilenen und Demokraten führen, um der Diktatur ein Ende zu setzen. Ohne es zu wollen und ohne es zu bemerken, haben wir Journalisten in Personen verwandelt, die eine sehr wichtige politische Aufgabe erfüllen. Unsere Zeitschriften haben oft mehr Anziehungskraft und Bedeutung als die politischen Parteien und sozialen Organisationen. Warum hat dann die Regierung das Verbot von Analisis wieder aufgehoben? Aus Sorge, daß die alternativen Medien, die wir in der Zwischenzeit gegründet hatten, sich weiterentwickeln könnten, zogen sie es vor, unsere Verbreitung wieder zu erlauben. Denn sobald unsere Zeitschriften legal sind, können sie sie auch der „legalen“ Repression unterwerfen. Wir haben uns dieser Aufgabe gestellt und haben alle Formen des ökonomischen Überlebens entwickelt. Als wir das erste Mal geschlossen wurden, es war kurz vor Weihnachten, konnten wir sogar in unseren eigenen Redaktionsräumen einen Weihnachtsbasar veranstalten. Wir fanden folgenden Slogan: „Wenn Sie Ihr Geschenk im Gebäude von Analisis kaufen, leisten Sie einen Beitrag zur Informationsfreiheit.“ Hunderte Chilenen kamen, kauften ihr Geschenk und verhalfen uns zu Einnahmen, mit denen wir uns weiterfinanzieren konnten. Auf der einen Seite gibt es mittlerweile viele oppositionelle Medien, auf der anderen Seite die ständige harte Repression gegen kritischen Journalismus. Das sind demokratische Freiräume, die von der Opposition erobert worden sind. Die Regierung sieht sich gezwungen, unsere Existenz zu erlauben. Auf der anderen Seite versucht sie ständig, uns die Luft abzudrücken. Auch wenn alle oppositionellen Massenmedien verboten würden, würden Untergrundmedien wie Pilze aus dem Boden schießen. Außerdem existiert keine volle Informationsfreiheit. Die Regierung lenkt erwiesenermaßen das gesamte Fernsehen, welches das wichtigste Massenkommunikationsmittel in Chile darstellt. Was für persönliche Gründe hast Du für Deine Rückkehr nach Chile, bei der Aussicht, daß eineinhalb Jahre Gefängnis auf Dich warten? Unsere oppositionellen Massenmedien spielen eine wichtige Rolle. Wir Journalisten sind sehr bekannt, und die Menschen haben viel Vertrauen in jeden unserer einzelnen Schritte. Ich habe zwar die Möglichkeit, im Ausland zu bleiben und dadurch dem Gefängnis zu entkommen. Ich bin aber der Meinung, daß es für mich eine politische und moralische Pflicht ist, in mein Land zurückzukehren. Ich glaube, daß das Exil mir keine Möglichkeiten gibt, um effizient gegen die Diktatur zu kämpfen. Und daß es auch nach 14 Jahren Diktatur besser ist, in Chile zu bleiben, selbst wenn man in einer Zelle sitzt, um diese Berufsverpflichtung zu erfüllen. Andererseits habe ich eine große Familie, meine Frau und sechs Kinder, die ich nicht zu einem Leben im Exil verdammen kann. Ich werde mich diesem Urteil beugen müssen, aber auf keinen Fall wird mich das zum Schweigen bringen. Die Wahrheit und die Ideen lassen sich nicht einsperren. Ich glaube, daß wir, obwohl wir unserer physischen Freiheit beraubt sind, die größte geistige Freiheit haben. Das Interview führten Lipthay und Robert Krieg In der Bundesrepublik hat sich schon vor Cardenas Rückkehr nach Chile eine Solidaritätsgruppe gegründet und bisher 1.500 Unterschriften gesammelt, die eine Aufhebung des Urteils fordern. Auf Initiative von Cardenas selbst sammelt die Gruppe für Geschenkabos von Analisis, die an Bewohner von Elendsvierteln gehen. Kontakt: Martin Firgau, Marientalstr. 75, 4400 Münster, Tel.: 0251/27 12 05. Spendenkonto Dorothea Horn, Nr. 1 000 255 644, Kreissparkasse Herford (BLZ 494 501 230), Stichwort: ANALISIS.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen