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„Reinigungen schließen!“

■ Konflikt um die Gift–Emissionen aus chemischen Reinigungen spitzt sich weiter zu / Bundesweite Untersuchungen / 100.000 Tonnen Perchlorethylen jährlich

Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Während bundesweit im Umfeld der 7.500 chemischen Reinigungen der BRD weiter nach dem Problemstoff Perchlorethylen (PER) gefahndet wird, hat die Alternative Liste Berlin gestern die sofortige Schließung von 200 Reinigungsbetrieben (von insgesamt 420) in der Mauerstadt gefordert. Auf einer Pressekonferenz sprach die AL von einem „schmerzlichen Einschnitt“, aber angesichts des akuten Handlungsbedarfs dürfe nicht länger tatenlos zugewartet werden. Für die geschlossenen Betriebe soll ein „Sozialplan“ aufgestellt werden. Wie ihnen weiter zu helfen sei, „darüber müssen wir noch diskutieren“. Wie berichtet, war das krebserzeugende Lösemittel Perchlorethylen im Blut bei Angestellten von Reinigungen, Anwohnern, aber auch in der Luft und in Lebensmitteln in der Nachbarschaft vom Bundesgesundheitsamt in hoher Konzentration gemessen worden. Die Höchstgrenze der Trinkwasserverordnung wurde bei Lebensmittel–Stichproben bis zu 200fach überschritten. Johannes Spatz (AL) wies darauf hin, daß vor allem die Reinigungen in Altbauten den Gefahrstoff PER nicht zurückhalten. Dort dringe er durch die Gemäuer und verseuche die Umgebung. Bei acht untersuchten Altbauten im Stadtteil Wilmersdorf seien sechs Fälle von PER–Belastungen festgestellt worden. Bei den Neubauten seien die Gefahren geringer, „durch festen Zement kommt PER nicht durch.“ Nach Informationen der AL werden in der BRD jährlich ungefähr 100.000 Tonnen PER produziert und verwendet, davon rund die Hälfte in chemischen Reinigungen, wo sie „fast vollständig“ in die Umwelt gelangten. Die AL forderte ein Anwendungsverbot für PER in Reinigungen, mußte allerdings einräumen, daß es keine Ersatzstoffe gebe, die weniger gesundheitsgefährdend seien. Die Angestellten in chemischen Reinigungen seien durch das ständige Einatmen der Dämpfe am meisten gefährdet. Die Krebshäufigkeit bei dieser Berufsgruppe sei deswegen auch erhöht. Bedienstete würden häufiger über Kopfschmerzen klagen. Die AL wies nochmals auf die verschiedenen Studien über PER hin, die den Krebsverdacht in Tierversuchen eindeutig erhärtet hätten. Peter Braun vom Berliner Wissenschaftsladen ordnete PER in die Reihe der gefährlichen Chlor–Kohlenwasserstoffe ein, die nur schwer abbaubar seien und sich deshalb im menschlichen Körper anreichern. PER könne neben Kopfschmerzen und Schwindel auch Leber– und Nierenschäden verursachen. Das Bundesgesundheitsamt wies gestern den Vorwurf der Abwiegelung zurück. Das BGA habe mit seinen Untersuchungen ja die Dinge erst ins Rollen gebracht. „Wir haben auch gesagt, daß Handlungsbedarf besteht“, erklärte BGA–Sprecher Henning. Tatsächlich seien in Einzelfällen „irre Werte“ ermittelt worden, die „die Grenze des Gefährdungsbereichs überschreiten“. Die Bundes–Grünen haben in einer Anfrage der Bundesregierung 24 Fragen zu Gefahren und Anwendung von PER gestellt und dabei auch nachgefragt, ob das BGA nicht schon „seit Jahren“ von PER–Problemen im Umfeld von Reinigungen Kenntnis habe.

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