: Minister vor den ALKEM–Richter?
■ Staatsanwaltschaft macht im Hanauer ALKEM–Prozeß Dampf / Die Ex–Minister Baum (Bund), Hoffie und Reitz (Hessen) sollen vorgeladen werden / Verteidiger drängen auf „Ersetzung“ der Staatsanwälte
Von Klaus–Peter Klingelschmitt
Hanau (taz) - Am dritten Verhandlungstag im Hanauer ALKEM–Prozeß flogen gestern vor der Umweltstrafkammer des Landgerichts die Fetzen. Während die Anwälte der angeklagten Ministerialbeamten Thurmann und Frank sowie der Verteidiger von Alexander Warrikoff (CDU– MdB) Anträge auf „Ersetzung“ der Staatsanwälte Hübner und Geschwinde vorlegten, konterte die Staatsanwaltschaft diese Attacke mit insgesamt sechs Beweisanträgen. Das Landgericht unter Vorsitz von Richter Frese soll danach die ehemaligen Minister Baum (Bundesinnenminister/FDP), Hoffie (Hess. Wirtschaftsminister/FDP) und Reitz (Hess. Wirtschaftsminister/SPD) als Zeugen laden. Nachdem Staatsanwalt Hübner die Behauptungen des angeklagten Frank Thurmann, der am Montag der Staatsanwaltschaft vorgeworfen hatte, sie habe die „Anklageschrift gefälscht“ als „ungeheuerlich“ zurückgewiesen hatte, schlug die große Stunde des jungen Staatsanwalts Geschwinde. Ausgehend von der Einlassung Thurmanns, daß die zuständigen Minister über die der ALKEM erteilten „Vorabzustimmungen“ informiert gewesen seien, ersuchte der Staatsanwalt das Gericht, die Ex–Minister Reitz und Hoffie sowie den seinerzeit agierenden Staatssekretär Schmitt vorzuladen. Darüberhinaus, so Ge schwinde in seinem Beweisantrag, seien insgesamt vier leitende Staatsbeamte aus dem Bundesinnenministerium anzuhören. Zum Beweis, daß es nicht - wie von Warrikoff und Thurmann behauptet - technische Bedingungen gewesen seien, die die Durchführung des atomrechtlichen Verfahrens behindert hätten, sondern daß die Verschleppung auf die „zögerliche Unterlagenerstellung“ durch die ALKEM zurückzuführen sei, sollen Ex–Bundesminister Baum, seine damaligen Staatssekretäre von Schoeler und Hartkopf sowie vier weitere Beamte vom Landgericht befragt werden. Darüberhinaus wollen die Staatsanwälte die Bundestagsabgeord neten Hirsch und Schäfer zum Beweis dafür vorladen, daß nach der Änderung des Atomgesetzes 1975 in Bonn festgelegt worden sei, daß für die Genehmigung der Hanauer Nuklearfabriken eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen gewesen sei. Da insbesondere Warrikoff am zweiten Verhandlungstag behauptet hatte, daß bei dem Erörterungstermin zu ALKEM „alle Änderungen offengelegt“ worden seien, verlangte die Staatsanwaltschaft auch die Einbringung der Protokolle aus dem Erörterungstermin in das Verfahren. Aufgrund der massiven Angriffe der Angeklagten auf die Staatsanwaltschaft vom Montag, stellten Hübner und Geschwinde auch den Antrag auf Beiziehung aller Originalakten des Verfahrens. Diese Einsichtnahme würde beweisen, daß keine Unterlagen gefälscht worden seien. Da die elf Verteidiger der Angeklagten vor einem Gerichtsentscheid über die Beweisanträge der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten sollen, will Richter Frese seine Entscheidung über die Beweisanträge am kommenden Mittwoch treffen. Den Antrag der Verteidiger auf „Ersetzung“ der Staatsanwälte gab der Richter an den zuständigen Oberstaatsanwalt Farwick weiter, da das Gericht dafür „nicht zuständig“ sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen