: Mexiko: Die Rückkehr der Tölpel
■ Eine Welle der Gewalt stört Reformprozeß in der ältesten Universität Amerikas / Rektorat ersucht trotz Autonomiestatus den staatlichen Justizapparat um Hilfe
Von Thomas Fitzner
Mexiko–Stadt (taz) -Sie werden „Porros“ genannt, zu deutsch: Tölpel. Diesen spöttischen Namen haben die Mexikaner jenen Rowdies verliehen, die den autonomen Status der Nationalen Universität von Mexiko nützen, um - zumeist organisiert, zumeist ungestraft - den Campus zu tyrannisieren. Daß eine neue Welle der Gewalt ausgerechnet mit der Vorbereitung eines großen Reformkongresses zusammenfällt, wird von nicht wenigen als Beweis für einen politischen Hintergrund des Rowdytums gewertet. Obwohl die „Universidad Nacional Autonoma de Mexico“ (UNAM) traditionell einen politischen Unruheherd darstellt, kann man die derzeitigen Spannungen zwischen Studenten und Rektorat durchaus in einem größeren Zusammenhang sehen. Der Ruf nach mehr Demokratie wurde in Mexiko so laut, daß sich die seit 58 Jahren alleinherrschende „Institutionelle Revolutionspartei“ (PRI) zu einem spektakulären Schritt genötigt sah, der von oppositionellen Kreisen zwar als pure Kosmetik abgetan wird, jedoch zeigt, wie stark der öffentliche Druck inzwischen geworden ist: Erstmals in der Geschichte der Präsidentschaftswahlen stellte die PRI sechs Vor–Kandidaten auf, die sich einem öffentlichen (wenngleich parteiinternen) Vergleich stellen müssen. Bislang hatte der scheidende Präsident seinen Nachfolger als Kandidaten vorgestellt und danach durch das Volk wählen lassen. Gleichzeitig ist ein Parteiflügel entstanden, der sich „Corriente Democratica“ nennt und im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen (Ende des kommendes Jahres) mit unangenehmen Fragen an die Parteiführung in die Öffentlichkeit geht. Kein Wunder, daß auch die Studenten der UNAM Morgenluft wittern. Immerhin handelt es sich um die mit nahezu 400.000 Studenten und 80.000 Beschäftigten größte und politisch wichtigste Bildungseinrichtung des Landes. Ihr autonomer Status bedeutet, daß Polizei und Militär keinen Zutritt haben (die Ausnahmen bestä tigen die Regel). Die UNAM verfügt über einen eigenen Sicherheitsapparat. Genau dieser hat sich jedoch - so beklagen sich Mitglieder des Studentenrates - in der Bekämpfung des Rowdytums nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Einige beschuldigen gar hohe Funktionäre der Universität, mit den „Porros“ unter einer Decke zu stecken. Rektor Jorge Carpizo dagegen hält den Studentenrat für den Urheber der Gewalttätigkeiten und gibt in einer ellenlangen Liste der Vorfälle in den letzten Monaten (die Skala reicht von Straßenblockaden über Bombenanschläge bis hin zu tätlichen Angriffen auf Lehrpersonal und Studenten) vielfach als Täter schlicht Mitglieder des CEU an (“Consejo Estudiantil Universitario“ - Studienrat). Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen, die sich freilich auch subtiler abspielen, steht ein Kongreß, der über eine weitreichende Reform der riesigen Universität beraten soll. Rektor Jorge Carpizo wird vorgeworfen, bei der Bildung einer Kommission, die eine Delegiertenliste für den Reformkongreß erstellen soll und somit beträchtlichen Einfluß auf dessen Ausgang hat, sehr eigenmächtig und undemokratisch vorgegangen zu sein. Carpizo dagegen meint, der Studentenrat respektiere andere Meinungen nicht und versuche bewußt, den Kongreß zu verhindern, sollte dieser nicht das vom CEU gewünschte Ergebnis versprechen. Daß es sich bei den „Porros“ auch um eine dritte Partei in dem Streit handeln könnte, legt ein Zwischenfall vom 24. Juli nahe: Als Vertreter des Rektorats und des CEU mit einer dem Dialog dienenden Konferenz beginnen wollten, stürmten „Porros“ den Hörsaal, verhinderten mit Lärm, Drohungen und Handgreiflichkeiten den Beginn der Gespräche und vertrieben die Teilnehmer. Mittlerweile haben die Vorkommnisse eine handfeste Konsequenz: Das Rektorat hat den staatlichen Justiztapparat um Hilfe ersucht, da die universitätseigene „Vigilancia“ mit den zum Teil bewaffneten „Porros“ nicht mehr fertig wird. Ein Universitätsfunktionär verteidigte das Ersuchen mit dem Argument, der autonome Status bedeute nicht, daß die UNAM quasi exterritoriales Gebiet sei. Um den Eindruck zu vermeiden, die UNAM habe sich in ein Schlachtfeld verwandelt, sei festgestellt, daß die meisten der fast 400.000 Studenten noch nie einen „Porro“ zu Gesicht bekommen haben, und daß der Unterrichtsbetrieb - von gelegentlichen Demonstrationen abgesehen - normal weiterläuft. Der Konflikt jedoch ist evident und färbt auch auf den universitären Alltag ab.
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