: Der Fall Barbier
■ Lucien Barbier, französischer Arbeiter und Kommunist, starb an den Folgen von Polizeiknüppeln
Paris (taz) - Lucien Barbier ist tot. Mit 16 Jahren demonstrierte er das erste Mal mit der KPF. Am 6. November dieses Jahres protestierte er, 62 Jahre alt und seiner Partei und Gewerkschaft treu, in Amiens (Nordfrankreich) gegen die Verlegung der Schnellbahnstrecke Paris–Brüssel. Die Demonstranten der kommunistischen CGT–Gewerkschaft sind an diesem Tag wütend, weil sie keinen Einlaß in eine Messe finden, die der Minister besucht. Sie werfen mit Steinen, die Polizei greift ein, und Lucien Barbier wird niedergeknüppelt. Bis Donnerstag lag er im Koma. Seine Beerdigung findet heute statt. Die KPF hat landesweit zur Demonstration aufruft. Der Fall Barbier ist nicht der erste seiner Art. Sowohl die Ermordung von sechs KPF–Anhängern in der Metro–Station Charonne durch die Polizei im Jahre 1962 als auch die Erschießung des Linksradikalen Pierre Overney 1972 durch den Renault– Werksschutz markierten Höhepunkte der Widerstandsbereitschaft in der französischen Arbeiterbewegung. 1962 und 1972 kam es zu Demonstrationen von Millionen bei der Beerdigung der Betroffenen. Heute gehen Politiker und Medien über das Schicksal Barbiers hinweg, als handele es sich um ein beiläufiges Ereignis. Sogar KPF–Generalsekretär Marchais unternahm bisher nur eine seiner üblichen politischen Erklärungen. Sicherlich erklärten alle Gewerkschaften und politischen Parteien der Linken einmütig ihre Entrüstung. Auch unterbrach das Parlament am Donnerstag abend für fünf Minuten die Arbeit in Gedenken an Barbier. Von wirklicher Empörung aber war auf keiner Seite etwas zu spüren. Vielleicht ist Lucien Barbier keine passende Identifikationsfigur. Er war alt, Arbeiter und Kommunist. Das sind im modernen Frankreich keine positiven Attribute. Georg Blume
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