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Brasov oder Kronstadt oder was?

■ Der deutsche Nationalismus des 19. Jahrhunderts und seine (sprachlichen) Folgen am Beispiel Rumäniens

Von Erhard Stölting

Es ist getadelt worden, daß in der taz einige dramatische Vorfälle in „Kronstadt“ statt in „Brasov“ (sprich: Braschow) lokalisiert wurden. In einem Reiseführer von 1915, herausgegeben vom städtischen Fremdenverkehrs– Komitee, steht: „Brasso (Kronstadt) gehört zu den schönstgelegenen Städten Ungarns. ..Die 40.000 Einwohner der Stadt, hauptsächlich Magyaren, Deutsche und Rumänen gehen eines Herzens und eines Sinnes vor, um die Stadt auch baulich dem prächtigen natürlichen Rahmen anzupassen.“ Der Name Brasov/Brasso hat eine bulgarische Wurzel, der auch die Bezeichnung des umgebenden „Burzenlandes“ entwuchs. „Kronstadt“ heißt der Ort seit dem frühen 15.Jahrhundert, als König Sigismund von Ungarn das Stadtwappen mit Krone verlieh. Vom 10.Jahrhundert bis 1918 stand ganz Siebenbürgen (rumänisch „Transsylvania“, ungarisch „Erdely“) unter der Souveränität der ungarischen Krone. Eine Zeitlang herrschte der Sultan. Die herrschenden „Nationen“ jener Zeit unterstützten mal den Kaiser, mal die Türken. Auch die ungarischen, rumänischen und deutschen Bauern trugen keine Nationalzwiste aus, sie haßten ihre Herren einerseits, Zigeuner, Hirten und Vampire andererseits. Aber all das ist Geschichte und nicht Prinzip; und das spielt in der Namensfrage eine Rolle. Das erste Prinzip, nur offizielle Bezeichnungen zu verwenden, ist schwer durchzuhalten. „Milano“, „Venezia“ oder „Bucuresti“ wirken in deutschsprachigen Texten etwas albern. Das zweite Prinzip ist ernster: mit den Bezeichnungen zu dokumentieren, daß man mit dem unheilvollen deutschen Chauvinismus gebrochen hat. Das ist unbedingt zu begrüßen. Verbietet man sich jedoch, in Namensdingen pragmatisch und prinzipienlos zu verfahren, tauchen erhebliche Schwierigkeiten auf. „Kiew“ zu schreiben müßte dann als Unterstützung großrussischer Assimilationspolitik verstanden werden, „Kijiw“ würde den nationalen Ansprüchen der Ukrainer Ausdruck verleihen, wäre aber anti–sowjetisch. Außerdem wüßte niemand, wo das liegt. Das prinzipielle Verbot, deutschsprachige Ortsnamen in Osteuropa zu verwenden, weckt das zusätzliche Bedenken, ob hier nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird. Viele, die gegenüber deutschen Massenverzückungen berechtigten Widerwillen empfinden, lassen sich anderswo davon anrühren. Nicht der Nationalismus ist schlecht, bloß der deutsche. Aber wenn der deutsche Nationalismus seit dem 19. Jahrhundert die Geschichte und Präsenz anderer Kulturen verkleinerte oder leugnete, so korrigiert man den Quatsch nicht durch die Umkehrung. Wenn Aachen auf Französisch „Aix–la– Chapelle“ und Wien auf ungarisch „Becs“ heißen, dann verweist das auf intensive Zusammenhänge. Die Erinnerung an diese Bezüge zu tilgen, bedeutet aber, die Verarmung zu übertreiben. Sie gemahnen schließlich an die Zeiten, als Grenzen noch keine „nationalen“ waren, sondern Ausbeutungsclaims absteckten, als die Bevölkerungen noch nicht mit nationalistischen und rassistischen, sondern mit dynastischen, ökonomischen oder religiösen Begründungen umgesiedelt oder massakriert wurden, als Kulturen noch Zentren, aber keine Grenzen kannten. Andererseits ist die Namensfrage so wichtig, wie pompöse nationale und kulturelle Überlegungen suggerieren könnten. Viel wichtiger als die Frage, ob der Ort „Kronstadt“ heißt, ist, was in Brasov bzw. in Rumänien los ist.

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