■ McCash Flows Orakel: Die lahmen Enten des Effecten–Spiegel
Optionsscheine bieten die Möglichkeit, mit kleinem Kapitaleinsatz überproportional an steigenden Aktienkursen zu profitieren. Ein Optionsschein (OS) gewährt für einen längeren Zeitraum das Recht zum Bezug einer bestimmten Anzahl Aktien zu einem Festpreis. Berechtigt z.B. ein OS zum Bezug einer Aktie für 100 Mark und beträgt der aktuelle Kurs der Aktie 150 Mark, müßte er mindestens 50 Mark kosten. Steigt nun der Kurs der Aktie um 75 Mark auf 225 DM, also um 50 Prozent, würde der Wert des OS ebenfalls um 75 Mark steigen - ein Kursgewinn von satten 150 Prozent. In den allermeisten Fällen werden OS über ihrer rechnerischen Parität gehandelt, mit einem sogenannten Aufgeld, dessen Höhe die Erwartungen weiterer Kurssteigerungen der Aktie spiegelt. Je höher diese Hoffnungsprämie, desto höher der Kapitaleinsatz für den OS (im Vergleich zum Direkterwerb der Aktie) und desto niedriger seine Hebelwirkung, das ist das Vielfache, um das der OS schneller steigt als die Aktie. In unserem Beispiel hat der OS einen Hebel von drei,bringt exact den dreifachen Kursgewinn der Aktie, bei einem Aufgeld von 25 DM schrumpft der Hebel auf zwei, und je näher sich der OS dem aktuellen Aktienkurs von 150 DM nähert, desto uninteressanter wird er. Logisch. Entscheidend für die Zugkraft eines OS ist das Verhältnis von Aufgeld und Hebelwirkung, wenn die Prämie zu hoch ist, kommt der Hebel nicht zur Wirkung. Diese simple Regel scheint für den Effecten–Spiegel (“Europas größtes Börsenjournal“) offenbar zu den großen Geheimnissen zu gehören; in schnöder Regelmäßigkeit rät das Blatt zum Kauf von OS mit extrem hohem Aufgeld und vergleichsweise bescheidenem Hebel. Diese Saft– und Kraftlosigkeit dürfe, wie der Effecten– Spiegel–Herausgeber Bolko Hoffmann in der Regel tönt, „getrost vernachlässigt“ werden, wenn der OS noch eine lange Laufzeit hat. Doch außer der Hoffnung, daß sich während dieser Laufzeit das Aufgeld reduziert und dann der Hebel zum Tragen kommt, gibt es keinen vernünftigen Grund zum Erwerb solcher OS. Es sei denn, man rechnet damit, daß schon die bloße Empfehlung durch die größte Börsenzeitung einen Nachfrageschub entfacht oder sonstige sensationelle Nachrichten Erwartungen wecken, die über die bereits bezahlte Hoffnungsprämie hinausgehen. Wie unsinnig der Kauf überteuerter OS ist, belegt der Effecten–Spiegel–Tip vom 10. März: zum Preis von 49,50 DM wurden die OS der Metallgesellschaft 1987 empfohlen, die (aufgrund des Tips?) in den nächsten Tagen auf 52,50 DM stiegen. In der folgenden Woche verbesserten sich die OS von 52,50 auf 55,50 DM (also um 5,7 Prozent), die Aktie der Metallgesellschaft hingegen kletterte im selben Zeitraum von 230 auf 270 DM, also um 17 Prozent. Wie das, wo der der Metallgesellschaft–OS doch über einen Hebel von 4,8 verfügt, also fast fünf mal so schnell steigen müßte wie die Aktie? Das Aufgeld, das auch bei langer Laufzeit (bis 1997) eben nicht „getrost vernachlässigt“ werden darf, liegt bei sage und schreibe 52 Prozent: Ein OS (für 55,50 DM) berechtigt zum Bezug einer Aktie für 370 DM - das sind Kosten von 425,50 DM pro Aktie, der aktuelle Metallgesellschaft– Kurs liegt aber bei nur 270 DM. Damit der OS interessant wird (d.h. „ins Geld“ kommt), muß die Aktie über 100 DM steigen - das ist innerhalb der nächsten neun Jahre durchaus denkbar, kann aber nicht Basis einer kurzfristigen, spekulativen Strategie sein. Dennoch tauchen unter Hoffmanns Empfehlungen für spekulative Anleger immer wieder solche lahmen Enten auf: so der Preussag–OS (Aufgeld: 99 Prozent, Hebel: 3,3), die OS der Dresdner Bank 1986 (Aufgeld 67 bzw. 76 Prozent, Hebel: 4,6 bzw. 5,2) und der von VW, der zu den teuersten überhaupt zählt (Aufgeld: 116 Prozent, Hebel 3,5). Im Vergleich zu diesem abgrundtief erlahmten OS (Bezugspreis pro Aktie 465 DM) muß Stoltenbergs Aktien–Angebot für 238 DM geradezu als hochattraktive Spekulationsanlage gelten - den Effecten–Spiegel wird es nicht abhalten, sich weiter in ganzseitigen Inseraten als „Nr.1“ unter den Tip–Diensten zu feiern. Und auch mit Schlagzeilen wie „180 Prozent in wenigen Wochen“ wird weiterhin geprotzt. Gemeint ist damit der OS der Societe General, den das Blatt im Januar für 23,50 DM empfahl und kurz darauf beim Kurs von 66 DM (180 Prozent Gewinn) dringend zum Verkauf riet. Zwei Wochen nach der Verkaufsempfehlung lag der SGB–OS bei 250 DM und steht bis heute bei 236 DM. So trübe Hoffmans Rechenkünste in diesen Beispielen scheinen, es sind nicht die technischen Kriterien allein, die einen OS als Spekulation interessant machen. Aber wenn die simple rechnerische Bewertung nicht stimmt, wird auch der mächtigste fundamentale Schub den OS nicht bewegen - um zum Beispiel mit dem VW–Optionsschein Gewinne zu erzielen, müßte Volkswagen schon einen neuen benzin– und abgaslosen Käfer erfinden.
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