: Rocard: Mitterrands idealer Partner
■ Michel Rocard genießt den Ruf eines sozialdemokratischen Vordenkers der Sozialisten
Aus Paris Georg Blume
Auf den ersten Blick hat sich Michel Rocard seit zwanzig Jahren wenig verändert: Sein verschmitztes Lächeln im jugendlichen Gesicht ist ihm geblieben, seine scharfe Ironie ebenso wie seine hochelitäre Sprache. Kurz, der intellektuelle Gestus des Michel Rocard funktioniert nach wie vor perfekt und selbst für Alt–Linke verführerisch. Daß er heute dennoch Mann der Stunde ist, der die sozialistische Öffnung zur Mitte vollziehen soll, verdankt Rocard seiner politischen Spürnase, mit der er den Wind der Zeit immer etwas früher auffing als die Konkurrenz. Seine Karriere ist dabei beispielhaft für den Profilverlust der französischen Linken. Als einer der ersten Sozialisten kritisierte er den französischen Imperialismus in Algerien und setzte sich bald mit einer neuen Partei, der „Vereinigten Sozialistischen Partei“ (PSU), vom restlichen linken Lager ab. Zum Parteichef aufgestiegen führte er die PSU durch den Mai 68 und wurde zum Hoffnungsträger der undogmatischen Linken. Seine Theorie war die der Selbstverwaltung (“autogestion“), die den staatsmonopolistischen Ansatz von Kommunisten und Sozialisten verwarf und zu den Bestrebungen der neuen sozialen Bewegungen nach 68 aufschloß. 1969 erreichte Rocard als Präsidentschafts–Kandidat der PSU 3,6 - für den Außenseiter damals ein ehrenvolles Ergebnis. Noch einige Jahre stand Rocard zu seinen radikalen Ideen: „Heute weiß jeder, daß die weltweite industrielle Expansion langfristig die Zerstörung der organischen Bedingungen des Lebens nach sich zieht,“ schrieb er im Juli 1973, als die Arbeiter im Uhrenwerk Lip den wohl spektakulärsten französischen Arbeitskampf für die Selbstverwaltung führten. Rocard folgerte: „Das Autoritätsmodell des Kapitalismus wird heute von allen Seiten angegriffen.“ Die Angriffslust Michel Rocards ließ rasch nach. Schon als er 1974 die PSU verließ und in die Sozialistische Partei Mitterrands übertrat, hatte sich Rocard endgültig für eine persönliche Marktstrategie entschieden. Er griff die Sozialisten alsbald von rechts an und forderte seit 1977 die Anerkennung des Marktprinzips. 1980 zogen die Sozialisten Mitterrand als ihren Präsidentschaftskandidaten nochvor, obwohl dieser in den Meinungsumfragen bereits weit hinter Rocard lag. Rocard aber genoß fortan den Ruf des sozialdemokratischen Vordenkers der Sozialisten, die ihm - einmal an die Regierung gelangt - mit ihrer Wirtschafts–und Sozialpolitik nach und nach recht gaben. Doch solange Mitterrand in Rocard einen gefährlichen Nebenbuhler um das Präsidentenamt sehen mußte, beließ er ihn im Abseits der Regierungspolitik. Heute nun, nach Mitterrands Wahlsieg, ist Rocard der ideale Partner für die Konstruktion einer neuen Mitte–links–Mehrheit.
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