: L O K A L T E R M I N
Ermüdet durch die ständige Flucht nach vorne und mit Sonnenstrahlen aufgeheizt, stellte ich mein Fahrrad ab und stolzierte die Auffahrt der ehemaligen Tankstelle hoch. Die Veranda vor dem großflächig gefensterten Halbrund war gut besetzt und jede Ankunft eines weiteren Gastes wurde entsprechend gewürdigt. Gelangweilt hielt man die Ray Ban Olympian Deluxe Sonnenbrille in den roten Abendhimmel, saugte introvertiert an Strohhalmen und ließ sich durch mich nicht von den Eßgesprächen abhalten. Warum auch? Die City -Szene, die hier draußen auf den weißen Gartenstühlen hin und her rutschte oder zurückgelehnt entspannte, genoß die dedämpfte Atmosphäre. Verkäuferinnen aus den Boutiquen kühlten ihre bloßen Füße, Schauspieler stopften ihre Theaterpausen und Mägen mit neudeutscher Küche. Die Leute agierten, alterten, flanierten, talkten und kleideten sich scheinbar unabhängig voneinander und einten sich gerade deswegen. Die Kommunikation verließ jedoch nie die Tischkante. In der schlichten Schmausehalle fand ich noch Platz an einem der braunen Marmortische. Die Stimmung legte sich wie kühlende Haut auf mich. Der orange Thresen vermittelte Bar-Feeling, die Wände waren glatt gestrichen, ein Bild störte da nicht weiter, und ich verlangte die Karte.
Das vielzählige Personal agierte flink, überdies außergewöhnlich freundlich und aufmerksam. Ich blätterte. Hier konnte man sich in jeder Phase des Tages und der Nacht aufhalten und Entsprechendes zu sich nehmen. Möhrensaft, Vollkornwaffeln am Morgen. Salate am Mittag, Fleisch am Abend und Champagner in der Nacht. Oder umgekehrt. Ich fand keinen Fehler in der Bedienungsabfolge, aber mein Gegenüber meinte zu der Bedienung, seine Suppe sei um fast eine Minute zu spät gekommen und deshalb um fast ein Grad zu kalt über den Löffel gesprungen. Sie entschuldigte sich reserviert. Ich bestellte Champignon-Brie Salat und Lendchen mit Apfelrinde in Calvados und das Gewünschte kam schnell. Der Chicoree war folkloristisch auf dem Teller verteilt, die Lendchen intellektuell garniert.
„Hier wird wohl mit dem Auge gegessen“, stellte ich fest. Sie bestätigte.
„Dann bringen Sie mir bitte eine Haftschale mit Kontaktflüssigkeit, damit ich das Fett von der Hornhaut kriege.“
Sie drehte ab und verschwand in der Küche. Ich sättigte mich derweil, und als ich fertig war, stand sie mit einem kleinen Teller wieder vor mir.
„Wir haben leider keine Kontaktflüssigkeit. Aber wie wär's denn mit Hamsterbeeren und geschlagenem Joghurt?“
Wie ein Wahnsinniger trampelte ich mit meinem Fahrrad zum Bahnhof Zoo. Woher hatte sie von meinen Hamsterködeln gewußt?Thomas Böhm
Shell
Knesebeckstr. 22
1000 Berlin 12
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