: 82 Paragraphen deutsches Reinheitsgebot
■ Ein Ausländeraufenthaltsgesetz soll Deutschlands „nationalen Charakter“ bewahren / Von Vera Gaserow
Durch 82 Paragraphen wird sich künftig hindurchwühlen müssen, wer wissen will, ob ein Ausländer oder eine Ausländerin eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen muß, darf oder nicht darf. Wenn es nach Innenminister Zimmermann geht. Rechtsansprüche wird es dann kaum noch, Ermessensentscheidungen umso mehr geben.
Seit gut zwei Wochen „strömt“ und „flutet“ es wieder im bundesdeutschen Blätterwald: eine neue „Asylantenwelle“ rollt auf die Bundesrepublik zu, warnen die Medien. „Die Zahl der Ausländer hat ihren Höchststand erreicht“, stimmt das Statistische Bundesamt ein. Die Meldungen wirken wie bestellt, um während der Sommerpause einem Bonner „Jahrhundertwerk“ ideologischen Rückenwind zu verschaffen, dem das Wetter kräftig ins Gesicht schlägt. Seitdem die ersten konkreten Pläne für das lang angekündigte neue Ausländerrecht durch gezielte Indiskretion bekanntgeworden sind, häufen sich die Proteste. Inzwischen stapeln sich die dicken Kritikpapiere und Briefe an den Bundesinnenminister, aus dessen Haus der im Februar verfaßte Gesetzentwurf stammt.
An die 300 Seiten umfaßt dieses Gesetzespaket, das Kanzler Kohl schon in seiner Regierungserklärung vor sechs Jahren vollmundig als einen seiner vier Arbeitsschwerpunkte angekündigt hatte. Was schließlich herausgekommen ist, gleicht der „Kartographie eines Irrgartens, die nur in Wochenlangen Seminaren vermittelt werden kann“ (so die Arbeiterwohlfahrt in einer Stellungnahme). Schon „im Ansatz politisch verfehlt und deshalb durch Korrekturen der Einzelbestimmungen nicht verbesserungsfähig“, lautet das Urteil der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände, in der auch die Kirchen vertreten sind.
Verfehlt ist nach Meinung der Verbände vor allem die von einem engstirnig national denkenden Geist geprägte Abwehrstrategie gegen Fremde (siehe Dokumentation). Für weite Teile der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer wird dieses Gesetz mehr Rechtsunsicherheit als Integration schaffen. Letztendlich - so das Fazit der Arbeiterwohlfahrt
-zielt der Entwurf auf eine „nationale Selbstisolation“ der Bundesrepublik.
Für etwa 15 bis 20 Prozent der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer wird das neue Gesetz minimale Statusverbesserungen bringen, schätzen Experten. Fast ausschließlich den Ausländern, die vor dem Anwerbestopp 1973 als Arbeitnehmer eingereist sind, verspricht das geplante Ausländerintegrationsgesetz einen langfristig gesicherten Aufenthalt. Schon ihre Familienangehörigen erhalten nur noch ein zeitlich immer wieder befristetes und an die Familie gekoppeltes Aufenthaltsrecht, das mit Bedingungen und Auflagen z.B. für den Nachzug von Ehegatten und Kindern verbunden ist. Solch minimale Statusverbesserungen, die ohnehin nur eine längst erfolgte Integration juristisch absegnen, hätte man jedoch auch mit dem jetzigen Ausländerrecht durchführen können, meinen die Kritiker. Für sie ist das Integrationsgesetz nur der Süßstoff, mit dem zusammen die „Kröte“ des Paketes, das Ausländeraufenthaltsgesetz, geschluckt werden soll.
Dieses Aufenthaltsgesetz wird den größten Teil der bereits hier lebenden und alle neu in die Bundesrepublik kommenden Ausländer und Ausländerinnen betreffen. Und nicht zufällig umfaßt dieser Gesetzespart, der die Bedingungen festschreibt, unter denen Ausländer bleiben oder nachziehen dürfen, 82 Paragraphen, während das Integrationsgesetz mit siebzehn Paragraphen auskommt.
Fünf rechtlich verschiedene Aufenthaltsgenehmigungen sieht der Entwurf vor, die quer durch eine einzige Familie gehen können. Ein Labyrinth von Ermessensbestimmungen macht den ausländerrechtlichen Status z.B. von der Größe der Wohnung, den Sprachkenntnissen, der Dauer der Arbeitslosigkeit oder dem politischen Wohlverhalten abhängig. Für Rechtsunsicherheit ist vorgesorgt. Von 46 möglichen Fallgestaltungen, so hat ein Kritiker des Gesetzentwurfes aufgelistet, beruhen 37 auf Ermessensentscheidungen der Ausländerbehörden. Nur in drei Fallgruppen hätte ein Ausländer einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Aufenthaltsstatus.
Reformierbar dürfte dieses Meisterwerk der neuen Unübersichtlichkeit kaum sein. Von der Stärke der Kritiker wird es dabei abhängen, ob die Regierung nach der Sommerpause allen Protesten zum Trotz den Durchmarsch probt. Innerhalb der Koalition kommen die kritischen Stimmen bisher eher aus dem christlich-sozialen Arbeitnehmerflügel der CDU als von der FDP. Die zuständige Fachgruppe der Freien Demokraten hat zwar ebenfalls Kritik an dem Entwurf geäußert, drängt jedoch auf einen Kompromiß noch in dieser Legislaturperiode. Die Gegner setzen lieber eine neue Beratungskommission, die bis zum Schlußpfiff der Ära Zimmermann-Kohl auf Zeit spielen soll. Der rheinland -pfälzische Justizminister Caesar zumindest denkt für den Fall, daß es in Bonn zu keiner Einigung über das „Jahrhundertwerk“ kommen sollte, vorsichtshalber schon laut über eine eigene Gesetzesinitiative im Bundesrat nach.
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