: Kalkhoff radelte am Trend vorbei
■ Fahrradwerke sind schon wieder Pleite und werden jetzt an die Raleigh-Gruppe verkauft / Lohnerzicht umsonst: Auf dem Weg zum noblen Fahrrad ging Kalkhoff die Puste aus / Millionenverluste
Die Verhandlungen gehen gut voran, und heute soll in Cloppenburg das Ergebnis verkündet werden: Die „Neuen Kalkhoff-Werke“, bisher im Besitz niedersächsischer Geschäftsleute und seit zwei Wochen in Konkurs, werden dann in internationale Hände übergegangen sein. Neue Besitzerin ist die „Derby International Inc.“ Sie sitzt in London und hat einen Briefkasten in Luxemburg. „Derby International“ ist an mehreren Fahrradfabriken in Europa und USA beteiligt. Nobelstes Pferd im Derby-Stall: die Raleigh-Fahrradwerke in Nottingham. Mit dem Kalkhoff-Erwerb setzt Raleigh einen großen Fuß in den bundesdeutschen Markt. Der Kaufpreis: eine Mark. Dafür erwirbt Derby das Werk in Cloppenburg - aber zusammen damit auch dessen Schulden.
Bankrott war Kalkhoff erst kürzlich, nämlich Ende 1985. Damals gehörte der Betrieb noch der Gründerfamilie Kalkhoff, die 1919 das Werk in der erzkatholischen, aber wirtschaftlich gottverlassenen Ecke Niedersachsens aufgemacht hatten. Mit rund 1.000 Beschäftigten war Kalkhoff noch zu Anfang der 80er Jahre weitaus größter Arbeitgeber der Stadt. Aber die Kalkhoffs
hatten sich auf einem Marktsegment festgefahren, wo schon seit Jahren keine Gewinne mehr zu machen waren: Massenproduktion von billigen „Supermarkt-Fahrrädern“. Der Trend aber ging hin zu den besseren Qualitäten.
Geschäftsleute aus der weiteren Umgebung investierten damals in die Nachfolgegesellschaft. Den Löwenanteil brachte die „Gesellschaft für Beteiligungen an mittelständischen Unternehmen“ auf. Mehr als drei Millionen Mark kamen von dem millionenschweren Osnabrücker Fensterputzer Piepenbrock. Dessen Anteil übernahm kurz darauf der südoldenburgische „Eierkönig“ Kathmann. Im Sommer 1986 wurde er wegen Steuerhinterziehung in U-Haft genommen und verstarb bei einem Ausbruchsversuch aus dem Oldenburger Gefängnis. Seine Erben, die über die Hypo-Finanz in Chur (Schweiz) einen Anteil von 3,5 Millionen Mark an der „Neuen Kalkhoff“ halten, gehören zu den Verlierern der neuerlichen Pleite.
Mit rund 12 Millionen Mark war die neue Gesellschaft ausgestattet. Dazu kamen Geschenke der Stadt Cloppenburg, die Firmengrundstücke zu überhöhten Preisen kaufte. Am wichtigsten
aber: Belegschaft und IG Metall akzeptierten Billig-Tarif -Bedingungen. Der Betriebsrat verzichtete schon vor der Betriebsübernahme auf die 38,5-Stunden-Wo
che, die damals bundesweit erstritten worden war. Überstunden wurden ohne Zuschläge geleistet, das Weihnachtsgeld gestrichen. Die 650 ArbeiterInnen ließen sich
nötigen, ihre Verträge von sich aus fristlos zu kündigen. Von der „Neuen Kalkhoff“ wieder eingestellt wurden nur 400.
Nun hat das alles nichts genützt. Zwar versuchte die „Neue Kalkhoff“ sofort, Anschluß an den Markt für höherwertige Fahrräder zu bekommen. Ihre Nobelmarke „Le Mans“ wird für etwa 700 Mark in den Läden angeboten und orientiert sich am Geschmack der Leute, die bewußt und gerne Fahrrad fahren. Aber auf diesem Marktsegment hatten sich inzwischen andere Anbieter eingenistet, denen nicht - wie Kalkhoff - das Stigma des Billigproduzenten anhing.
Als Kalkhoff in die Pleite radelte, erblühte auf der ehemaligen Bremer Schiffswerft AG Weser eine neue Pflanze: Die „Fahrradmanufaktur“ des Verbandes selbstverwalteter Fahrradläden. Sie begann zu Anfang des Jahres das „Bremer Rad“ zu montieren und an die 60 alternativen Fahrradläden auszuliefern. Mit fünf MonteurInnen stieg die Manufaktur in die Saison ein, zu Spitzenzeiten mußte sie acht beschäftigen. Sie konnte die Nachfrage der Läden nur knapp befriedigen. Ihr Erfolgsgeheimnis: Das Bremer Rad wurde nach den Ideen der „Basis“, gestaltet, also der alternativen FahrradhändlerInnen. Das garantierte dem Modell die Nähe zum Trend.
Michael Weisfeld
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen