SCHLACHTENBUMMEL

■ „Stattmusiken“ am Samstag auf der Linie 3, im Hamburger Bahnhof, vor dem Ullsteinhaus und in der UFA-Fabrik

Von dem Streß, der entsteht, wenn die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut, mag man schon gar nicht mehr schreiben, aber die BVG-Beamten sind nun mal im preußischen Sinne Diener, die ihre Vorschriften haben, die auszuführen haben, was nach vielerlei Gesprächen dann doch von anderen Herren wieder anders angeordnet wird.

Aber das Schlimmste an diesen Unbotmäßigkeiten ist der Ton, mit denen einige dieser Aufsichtsbeamten ihre Pflicht erfüllen, im Kasernenhofton wie auf dem U-Bahnhof Wittenbergplatz, wo um 11 Uhr die U-Dry-Klänge ihren Ausgang nahmen unter Beteiligung einer Menge von bewußt dort erschienenem, aber auch zufällig angezogenem Publikum. Und wenn man bedenkt, daß diese kleine unauffällige Linie der BVG so viel Arbeit macht, dann ist zu befürchten, daß es bei diesem einen Experiment bleibt.

Die Musiker jedenfalls boten ihr bestes, was an sich ja selbstverständlich sein soll, aber unter den gegebenen Umstände nicht leicht ist.

Wie viel einfacher hat es da doch der Straßenmusikant, der nur allein mit seiner Geige oberirdisch vor dem Cafehaus unbeirrt Mozart spielt, um zum guten Schluß den verdienten Lohn von den Gästen einzusammeln. Das wird allerdings keinen Hungerkünstlerartikel provozieren über die hungernden Straßenmusikanten, die studiert haben und doch in keinem Orchester auf die Rente hinspielen.

Die Drehorgelspielerin gegenüber, neben Olaf Metzels Skulptur macht auch ihr Geschäft zum Takt der Melodie „Ein Hund schlich in die Küche...“ und verkauft an Touris Berliner Pandabären in unterschiedlicher Größe und Preislage als Haupterwerbsquelle.

Unterirdisch muß weiter festgestellt werden, daß die Sambarhythmustruppe der UFA-Fabrik keineswegs als Konkurrenzunternehmen zu betrachten ist, weil sie dort in Anbetracht des gemeinsamen abendlichen Auftritts schon mal ein Zwischenspiel gaben, das von unseren BVG-Fachmännern unter besonderer Berücksichtigung der kleinen grünen Männer mit den potenzsteigernden Schießeisen an der Hüfte unterstützt und beendet wurde, weil die ja nicht unter die Ausnahmeregelung fielen.

Oberirdisch wiederum fielen in der Gloria Passage ein lieber Musikclown auf, der auf der singenden Säge Kinderaugen strahlend machte, und vor der Gedächnis-Kirche trieben es in nicht enden wollendem Singsang unsere Hare -Krishna-Brüder, während nebenan unbeindruckt vom singenden, ruhenden laufenden Verkehr der Mann stand, der immer so tut, als sei er ein Standbild und auch dafür erhält er seinen Lohn.

Wie auch am Wittenbergplatz Pete Gavin, der seine akustische Gitarre verstärkt hat, Mundharmonika spielt und unverdrossen „Route 66“ singt, Platten und Cassetten verkauft.

Es ist 14 Uhr.

Um 17 Uhr schepperten im Cafe des Hamburger Bahnhof die Kaffeetassen, was in diesem Fall zur Aufführung der „Burdock I-X“ von Christian Wolff durch die Berliner Sinfonietta, das Ensemble für zeitgenössische Musik, paßte. Im Erklärungstext zur Veranstaltung der „Klangbrücke“ heißt es dazu:

„Burdocks (Große Klette) ist eine Sammlung von zehn Kompositionen, bei deren Ausführung die Anzahl der Interpreten ebenso wie die Zusammenstellung der Instrumente variabel sind. Die Musik bezieht die Räumlichkeit und das Geräuschhafte mit in die Komposition ein. Die einzelnen Kompositionen sind in beliebiger Reihenfolge und auch simultan spielbar.“

Ulrich Krieger (Sax), Wolfgang Kogler (Sax), Jan Decker (Klarinette), Friedemann Kawohl (Flügelhorn), Marc Lingk (Posaune), Ullrich Weber (Violine), Hella Westendorf (Viola), Thomas Großmann (Kontrabaß), Kai Naeve (Percussion) und Christian Kälberer (Koordination) wandelten also im Hof des Hamburger Bahnhofs, bliesen hier einen Ton und zupften dort eine Sequenz, rannten von einem Platz zu einem anderen, ohne daß durchschaubar geworden wäre, warum diese hektische Aktivität notwendig gewesen ist. Aber es hörte sich an diesem Ort immerhin gut an, diese „Klettenarbeit“, die daran erinnerte, wenn ein paar Leute damit beschäftigt sind, von einer Wolldecke kleine Kletten abzurupfen, ohne daß diese Arbeit von Erfolg gekrönt ist, weil immer wieder neue Kletten daran haften bleiben, die energisch, sanft, ruckhaft oder sensibel zu entfernen sind. Die MusikerInnen jedenfalls in ihrer Not mit den Noten gaben sich so aus, daß im Kompositionsgefüge zum Schluß Platz und Raum blieb, Gartenstühle umzuwerfen und mit Steinen an den Wänden und dem Boden herumzukratzen. Es ist das kontrollierte Chaos. Man tut so, als hätte keiner mit den anderen etwas zu tun, sei keinem verantwortlich, und wird dafür auch noch belohnt.

Auf dem Fest der Musikschule Tempelhof vor dem Ullsteinhaus, dessen Turm nur drei Uhren hat, weil, wie man erzählt, in Richtung Mariendorf zuwenig 'Morgenpost' -Abonnenten wohnten, fanden sich die U-Drei-Klänger wieder, deren Musik dort im klassischen Sinne von der Bühne, unbedrängt vom Publikum, aber zu dessen Freude heruntergespielt wurde.

In der gegenüberliegenden UFA-Fabrik wartete noch ein Ereignis, das uneingeplant dennoch erwähnenswert ist, weil es zeigt, wie einfach es ist, sich einen schönen Abend zu machen.

Auf dem Platz hinter dem Theater feierten die FreundInnen des Vollmonds ihre Schwitzzeromonie, indem sie sich in ein Zelt begaben, das von glühenden Steinen erhitzt wurde, was die Menschen natürlich in einen Rausch versetzte, daß sie sich die Kleider vom Leib reißen müssen und orgiastisch zufrieden sind.

Nebenan aber hatte George Wyllie seinen „Glasgow-Berlin Spire“ aufgebaut, der von der Stadt Glasgow in Auftrag gegeben worden ist in Anerkennung der Verbindung zwischen Glasgow und Berlin als Kulturstädte Europas.

Wenn sich die Auftraggeber und Vermittler gedacht hatten, George Wyllie würde seinen Spire vor der Reichstag aufbauen, kennen sie denselben schlecht. Er schreibt:

„Der Spire wurde entworfen, um den Raum, auf dem er steht, zu feiern. Darüber hinaus ist seine Bedeutung von keiner Bedeutung. Er kann jeden angenommenen Raum und seine unmittelbare Umgebung bestimmen und ihm Bedeutung verleihen. Die Skulptur besteht aus handgefertigten und natürlichen Materialien. Die Balance von Schwerkraft und den ihn umgebenden Luftströmungen läßt ihn frei schwingen... Die Stahlteile des Spire sind von Schotten handgefertigt, aber der Stein als Gegengewicht des Spire wurde von niemandem gemacht. Er ist unverarbeitete Natur von unserem Planeten. Er wurde bewußt aus der ursprünglichen Wildnis von Rannoch Moor an der westlichen Kante des schottischen Hochlands, nicht weit von Glasgow, gebracht. Das Verbindungsglied zwischen Rannoch Moor, Schottland, Deutschland und mir ist Joseph Beuys. Joseph Beuys trug Sorge um diesen Planeten und um unsere Anwesenheit auf ihm, und erklärte das in Rannoch Moor. Ich verkünde es in Schottland. Jetzt erkläre ich es in Berlin. Der Stein, der den Spire balanciert, ist für Beuys. Das Spire ist für den Planeten und für jeden, der versteht.“

Dieser George Wyllie hat den ganzen Tag damit verbracht, die freischwingende Stahlspitze aufzubauen, hat drum herum Hölzer im Kreis arrangiert, hat einen Holzadler gebaut und kleinere Holzpiepmätze, hat aus Holz eine Hantel zum Gewichtheben gebaut, von der man weiß, das sie leicht ist, und im Zirkus unendlich schwer.

Die Kinder vom UFA-Kinderzirkus haben die Gelegenheit benutzt, mit George einzuüben, was sie inzwischen gelernt haben, und was sie können, ist so professionell, daß sie durch nichts aus der Ruhe zu bringen sind, nicht durch Pannen und schon gar nicht durch die Motorsäge, mit der George Wilhelm-Tellmäßig den Apfel auf dem Haupt rasiert. Und Juppie hatte vor dem erstaunlich zahlreichen Publikum Gelegenheit zu zeigen, daß er ein Hundedresseur ist, der sich in jeder europäischen Zirkusshow sehen lassen kann.

Die Welt ist ein kleines Dorf in der Milchstraße. Aber wer kennt sich da schon aus.

Qpferdach