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Die Schuldigen sollen endlich bezahlen

Der Hamburger Mäzen Jan Philipp Reemtsma will etwas ganz Simples: Die Firmen und Behörden, die damals vom KZ Neuengamme profitierten, sollen endlich ihre historische Schuld anerkennen und heute für die miserabel ausgestattete Gedenkstätte bezahlen / Doch die Unternehmen stellen sich taub  ■  Aus Hamburg Ute Scheub

„Wir waren damals auch auf der Seite der Opfer“, behauptet der Pressesprecher der Hamburger Philips-Niederlassung doch glatt. Als holländisches Unternehmen sei Philips im „Dritten Reich“ „keine Firma mit eigenem Willen“ gewesen, sondern habe unter „Feindverwaltung“ gestanden. Für die Beschäftigung von jüdischen Zwangsarbeiterinnen, die im Außenlager Horneburg des KZ Neuengamme für Philips-Valvo Radioröhren bauen mußten, sei der Konzern deshalb erstens nicht verantwortlich zu machen und werde zweitens unter diesen Voraussetzungen kein Geld für die Gedenkstätte Neuengamme überweisen.

Ähnlich ignorant bis ablehnend reagierten auch noch weitere Firmen auf eine Initiative des Mäzens Jan Philipp Reemtsma. Da Neuengamme am südöstlichen Rand Hamburgs als die am miesesten ausgestattete Gedenkstätte der Bundesrepublik gilt, hat er vergangene Woche vorgeschlagen, diejenigen Behörden und Firmen, die damals aus der blutigen Zwangsarbeit im größten norddeutschen KZ (105.000 Häftlinge, 55.000 Tote) und seinen 70Außenlagern ihren Profit schlugen, um einen Beitrag zu ihrem Ausbau anzuhalten. 22Unternehmen hat er deswegen angeschrieben: die Hamburger „Electricitätswerke“, die Häftlinge zum Kraftwerksbau eingesetzt hatte, Blohm & Voss wegen des Einsatzes von Zwangsarbeitern bei Werftarbeiten, Continental und Dräger, die Gasmasken hatten herstellen lassen, die Dresdner Bank wegen ihrer Kredite für den Aufbau des Konzentrationslagers, HDW, Hochtief, Jastram, Junghans, Krupp, MAN, Philipp Holtzmann, Philips-Valvo, Prien, Salzgitter AG, Rheinmetall, Varta, Volkswagenwerk, Walther, Wayss & Freitag. Die Pressesprecher der meisten Firmen, die die taz anrief, wollten von dem Brief keine Kenntnis haben. Einzig die Drägerwerke sagten zu, ihn „wohlwollend zu prüfen“.

Leider sind diese verleugnenden Reaktionen ja überhaupt nichts Neues in deutschen Landen. Kaum ein Zwangsarbeiter ist je entschädigt worden, kaum ein Unternehmen hat je seine braunen Wurzeln in der Vergangenheit freiwillig bloßgelegt. Reemtsma, der selbst mit seiner „Hamburger Stiftung für Sozialforschung“ materielle wie immaterielle Unterstützung für Neuengamme leistet, will eigentlich etwas ganz Simples und dennoch immer noch unendlich schwer Durchsetzbares erreichen: die Anerkennung historischer Schuld.

Auch die staatlichen Behörden reagieren da kaum sensibler. Stück für Stück hatten die in der Internationalen Lagergemeinschaft Neuengamme zusammengeschlossenen früheren Opfer dem hamburgischen Staat die Gedenkstätte abtrotzen müssen. Das Dokumentenhaus, die Forschung, Betreuung von BesucherInnen und eine Dauerausstellung überhaupt erst möglich machte, wurde nicht früher als 1981 eingeweiht und war fast von Anfang an zu klein. Wegen der in räumlich und finanzieller Hinsicht unglaublich beengten Verhältnisse warf vor wenigen Wochen der Leiter der Gedenkstätte resigniert den Kram hin. Wenigstens darin sind sich deswegen Reemtsma und der für die Stätte zuständige Kultursenator Ingo V.Münch (FDP) einig: das Klinkerwerk, in dem die Häftlinge einst Ziegelsteine zum Wohle der Stadt Hamburg herstellten, soll erhalten und für drei Millionen Mark ausgebaut werden. Auch findet es der Kultursenator durchaus prima, daß der Mäzen in dem Konzept wegen der konkret nachweisbaren Schuld zahlreicher Behörden auf die Gesamtverantwortung des Hamburger Senats pocht. Allerdings mehr aus finanziellen Gründen: Das nämlich würde Münchs Kulturtopf entlasten. Aber über das Konzept insgesamt herrscht zwischen den beiden keineswegs Übereinstimmung.

So begann der Senator in einem Radio-Interview zu Neuengamme plötzlich von einer „Gesamtverantwortung aller Bürger und aller Unternehmen“ zu salbatern, von einer „Auflistung einzelner“ halte er nichts. Später versuchte seine Pressesprecherin zu relativieren, Herr v.Münch wolle durchaus auch erreichen, daß die Profiteure von einst heute mehr bezahlen als andere. Er habe nur Reemtsmas Entscheidung, die Firmennamen an die Presse zugeben, für taktisch falsch empfunden. Warum eigentlich? Weshalb funktioniert das Verursacherprinzip immmer im Kleinen und nie im Großen? Und was kann hier noch anderes helfen als öffentlicher Druck?

Die einzigen, die bislang vorbehaltlos ihre Unterstützung zugesagt haben, sind neben den Verbänden der Opfer die Künstler. Friedrich Schütte, Intendant des privaten „Ernst -Deutsch-Theaters“, hat zugesichert, „den Erlös je einer Aufführung von jedem seiner Stücke für den Ausbau der Gedenkstätte zur Verfügung zu stellen“. Auch „Kammerspiele„ -Intendantin Ida Ehre sowie Axel Eggebrecht, Günter Gaus, Ralph Giordano und Rolf Hochhuth sicherten Reemtsma tatkräftige Hilfe zu.

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