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Pflasterpflanzen im Ostertor

■ Zu einem „Stadtökologischen Rundgang“ durchs Ostertor-Viertel hatte am Samstag der BUND geladen / Über unscheinbare Zaunwinden und ätzende Hundescheiße

Zwölf Erwachsene, ein Kind und ein Baby im Kinderwagen standen am Samstag nachmittag aufmerksam um ein quadratisches Arrangement herum aus Hundescheiße in hell und dunkelbraun, einer leeren Beck's Flasche, kleinen grünen Disteln, Glasscherben, zahllosen Kippen mit und ohne Filter, Brennesseln - und das Ganze sauber eingerahmt mit gefegten Beton-Platten. Das Objekt der Neugierde war eine 'Baumscheibe‘, das Stückchen Erde also, das StadtplanerInnen für Bäume unversiegelt lassen.

Der BUND (Bund für Umwelt-und Naturschutz Deutschlands) hatte eingeladen zu einem Gang durch's Ostertor, Thema: Stadtökologie. „Das hier ist der mutige Versuch, heutzutage noch neue Linden zu pflanzen“, stellte Renate Jantzen vom BUND den jungen Baum Am Dobben vor. „Den

Baum hier haben wir beantragt“, trat stolz Friseur Gerkmann aus seinem Laden dazu, „wir wollten selbst einen pflanzen, aber dann hat das Gartenbauamt das übernommen, und wir gießen ihn.“ Was in der Mitte wie ein eiserner Gullydeckel aussieht, ist der Anfang des Bewässerungsrohres, das bis tief in den Wurzelballen hinunterreicht. Anders als die giftigen Zigarettenkippen waren Brennesseln und Disteln kein Dorn in Renate Jantzens Auge: „Es gibt Schmetterlingsarten, die ihre Eier nur an Nesseln legen, die würden sonst aussterben.“ Der Kot der Köter aber ist nicht etwa als Dünger mißzuverstehen: „Harnsäure wirkt ätzend!“

Angefangen hatte der ökologische Stadtrundgang in dem Gewerbe-Innenhof hinter dem Ostertor-Buchladen. Einen halben Meter hoch wächst da auf ei

nem Flachdach das grüne Gras: nicht nur hübsch, sondern idealer „Rückhalt“ für Regenwasser, das sonst auf Dachpfannen und Asphalt prasselt, blitzschnell in den Gullys verschwindet und die Kanäle zum Überlaufen bringt. Gunnar Oertel vom BUND ließ sich auf dem Gewerbehof vor den Öltonnen auf die Knie fallen und kratzte mit dem Taschenmesser zwischen den alten Pflastersteinen: „Alles schon ziemlich festgefahren, da haben Kleinstlebenwesen nur noch wenig Chancen.“

Die Großbaustelle Am Dobben beseitigte alle Illusionen: Eine dicke Kastanie vor dem Sanitätshaus ist bis an den Stamm mit Platten zugelegt, und direkt daneben gähnt senkrecht die Baugrube - die Hälfte des Wurzelballens fehlt also. „Normalerweise bildet sich das Wurzelwerk im gleichen Umfang aus wie die Krone“, erin

nerte Renate Jantzen.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Sielwall und Dobben (Dobben heißt 'sumpfiges Ufer‘) offene Wasserstrecken, die bis ins Blockland führten. Bevor alles als Straße zugeschüttet und ein unterirdischer Kanal gebaut wurde, gab es um 1850 einen richtigen Öko-Plan, eine Promenade mit Bänken und Baumreihen am offenen Wasser anzulegen, wie in Amsterdam. Zeuginnen der Trockenlegung vor 130 Jahren sind heute noch die Sumpf-Zypressen auf dem Grundstück der Unfallstation Außer der Schleifmühle.

Besonders für die kleinen Dinge am Weg weckten die BUND -VertreterInnen Blick und Verständnis. Da war zum Beispiel ganz unangemeldet eine unscheinbare Zaunwinde mit blassen rosaweißen Blütenkelchen einen Maschendraht fast zwei Meter hochgeklettert. Unten stand sie wie auf einem Strich („geringer Flächenverbrauch“), nach oben entfaltete sie eine ganze grüne Wand. Auch „der gemeine Beifuß“, dieses stark gründuftende Trümmergewächs, hat sich Parkbuchten und Grundstückskanten erobert.

„Stadtökologie, das heißt, den Zusammenhang zu sehen“, fand Gunnar Oertel. Etwa: Die Vorgärten Am Dobben verschwinden. Im Kommen sind waschbetonbetonierte oder asphaltierte Parkbuchten. Darauf stehen dann Waschkies-Kübel mit Immergrün und je zwei Begonien. „Der Kies“, spekulierte Oertel als Beispiel, „kommt mit LKW nach Bremen, aus einer Flußaue, wo jetzt eine Kiesgrube ist und vorher seltene Vogelarten gebrütet haben. Die LKW brauchen Diesel aus Erdöl und geben giftige Abgase ab...“

Susanne Paa

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