: Senat giftet wegen Giftmüll
■ Internes Senatsgutachten: In Berlin fällt viel mehr giftiger Sondermüll an als vom Senat vermutet / AL: Umweltgefahren durch falsch entsorgten Giftmüll / Senat sieht keinen Grund zur Korrektur seiner Zahlen
Ein im Auftrag und mit Hilfe von Umweltsenator Starnick (FDP) erstelltes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß in West-Berlin jährlich 140.000 Tonnen Sondermüll anfallen. Das wäre das Doppelte der 60 bis 70.000 Tonnen dieser Giftabfälle, die der Senat bislang genannt hatte. Die AL, die das interne Gutachten gestern veröffentlichte, vermutet deshalb, daß rund 70.000 Tonnen Sondermüll jährlich nicht ordnungsgemäß, sondern auf umweltgefährdende Weise beseitigt werden.
„Entweder sie landen im Hausmüll oder im Abwasser oder sie werden von den Firmen selbst verbrannt, was ebenfalls verboten ist“, schätzte der AL-Umweltexperte Schwilling. Er verwies auf aktuelle Untersuchungen in Westdeutschland, die ähnlich erschreckende Zahlendiskrepanzen ergeben hätten. In dem Gutachten sieht die AL einen weiteren Beweis, daß der Senat bisher keine brauchbaren Informationen über den städtischen Sondermüll gesammelt hat. „Reine Wahlkampfpolemik“, giftete dagegen gestern Starnick-Sprecher von Bargen zurück.
Die Zahlen des Gutachtens wollte die Umweltverwaltung gestern jedoch nicht in Zweifel ziehen. Von 4.000 Firmen hatte die privaten Gutachter detaillierte Angaben über ihren Sondermüll-Anfall im Jahr 1985 verlangt. Ein Begleitschreiben des Senats hatte die Firmen auf ihre „gesetzliche Auskunftspflicht“ hingewiesen.
Die Differenz zwischen alten Senats- und neuen Gutachter -Zahlen sei dennoch undramatisch, versicherte der zuständige Referatsleiter bei Starnick, Strobel.
Einige Stoffe, wie Elektroschlacke oder Filterstäube der Bewag, habe der Senat in seinen Sondermüll-Zahlen bislang nicht berücksichtigt. Große Mengen an Sonderabfällen, so Müll-Mann Strobel, würden bereits in den Firmen wiederverwertet, etwa Lösemittel oder Galvanikschlämme. Zahlen über diesen Recycling-Anteil konnte Strobel nicht nennen.
„Quatsch“, konterte gestern AL-Experte Schwilling. Bewag -Stäube seien auch in den 140.000 Tonnen des Gutachtens nicht enthalten; Galvanikschlämme würden in Berlin kaum wiederverwertet. Bei Lösungsmitteln spricht das Gutachten selbst von „halogenierten Lösungsmittel-Gemischen“. Ein Recycling dieser Gemische ist laut Schwilling praktisch unmöglich. Für Abfälle aus dieser - besonders gefährlichen Stoffgruppe hatte Starnick erst im Juli eingeräumt, hier fehlten ihm die Daten. Das Gutachten dagegen spricht jetzt von insgesamt 3.159 Tonnen im Jahr 1985, verteilt auf 125 „Nennungen“ der befragten Firmen. Demnach fallen jeweils nur relativ geringe Mengen an, die laut Schwilling mühelos im Hausmüll oder Abwasser landen könnten. Viele Firmen, das notierten auch die Gutachter, wußten nicht, daß sie Sondermüll produzierten. Eine „sachgerechte Entsorgung“ war, so die Forscher, deshalb „nicht gewährleistet“.
hmt
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