: Eine freie Gesellschaft
■ Richard Rhodes Wissenschaftsgeschichte Die Atombombe - akribisch, was die Beschreibung kollidierender Atome betrifft, schwach, wo es um die kollidierenden Persönlichkeiten geht
If you want to be a high-flyer you must be in Germany a brilliant theorist and in America a good fact-gather.(Fred Abraham)
Mehr als 900 Seiten hat das mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Buch über Die Geschichte des 8.Schöpfungstages. Der Autor rekonstruierte ihn von den ersten atomphysikalischen und -chemischen Experimenten bis zur Diskussion um den Bau der Wasserstoff-Bombe nach dem Abwurf der ersten Atombomben. Sein „Schöpfungstag“ dauerte mithin runde 60 Jahre (vom Anfang dieses Jahrhunderts bis zum Ende der Fünfziger Jahre). Im Resultat haben die Subjekte dieses Geschichtsabschnitts, die Atomphysiker „eine eng verknüpfte Gruppe von Menschen“ -, die „Weltereignisse letzlich noch stärker beeinflusst als der Nazismus“, schreibt Rhodes.
Man sollte meinen, daß man nach der Lektüre dieses gelben Wälzers mehr über sie weiß als vorher. Das ist aber leider nicht der Fall. Rhodes hat die kollidierenden Atome, wie sie aussehen, was dabei passiert und wie das Wissen darüber zustandekam, bis in die letzten Details zusammengetragen. Er versagt aber völlig, wenn er auf die Menschen zu sprechen kommt (die beteiligten Physiker, Politiker und Militärs): dann reiht er nur Klischees über ihr Aussehen, ihre Charakterstärke und ihr Genie aneinander. Hinzu kommt, daß er die theoretischen Diskussionen der Physiker und Mathematiker in diesem Zeitraum eher nur am Rande streift. Offensichtlich waren die Anstrengungen der Experimentalphysiker leichter für ihn zu handhaben.
Immerhin erwähnt er, daß die Autoritäten in der theoretischen Physik fast ausschließlich Juden waren, ihre Biographien werden z.T. ausführlich dargestellt.
Durch den deutschen Antisemitismus wurde zu Beginn der dreißiger Jahre die internationale Gemeinschaft der an der Kernspaltung arbeitenden Physiker auseinandergerissen. Mit Kriegsbeginn traten Geheimhaltungsbestrebungen und Regierungsverhandlungen an die Stelle von Informationsaustausch. Da die vor allem nach Amerika emigrierten deutsch-jüdischen Physiker zu Recht befürchteten, ihre im Reich gebliebenen arischen Kollegen würden mit staatlich-militärischer Unterstützung die Forschung in den Bau einer Atombombe münden lassen, versuchten sie fieberhaft, ihnen zuvorzukommen.
In dem Anfang der fünfziger Jahre erschienenen Buch Heller als tausend Sonnen von Robert Jungk wird all dies bereits besser und intelligenter geschildert. Jungk mochte sich damals allerdings nicht verkneifen, den (amerikanischen) Siegern dieses Rüstungswettlaufs so etwas wie einen Mangel an wissenschaftlicher Moral zu attestieren
-gegenüber den Nazi-Atomforschern, die sich seiner Meinung nach den militärischen Forderungen eher verweigert hatten (ihre Bombe war nicht fertig geworden).
In dem im selben Jahr wie Rhodes Laborepos erschienenen Buch Der Greif - Paul Rosbaud, der Mann der Hitlers Atompläne scheitern ließ urteilt der Autor, Arnold Kramish, über Jungks Buch: Es „ist ein frühes Beispiel für die beschämenden Lügen, die heutzutage für bare Münze genommen werden.“ Kramish zufolge taten sich die deutschen Wissenschaftler, allen voran Heisenberg und Weizsäcker, nach dem Krieg zusammen, um diesen „Mythos in die Welt zu setzen“. Wobei sie sich perfiderweise gerade des jüdischen Journalisten Jungk bedienten. Weizsäcker insbesondere pries Jungks Buch nach Erscheinen überschwenglich (in den damaligen populärwissenschaftlichen Publikationen warb der Verlag sogar stets mit den Weizsäcker-Lobesworten). Heute, 1988, in seinem neuesten Buch - mit dem bezeichnenden Titel Bewußtseinswandel - sagt Weizsäcker aber: „Ich habe damals etwas naiv gesagt, Jungk sei eben eine „anima candida“ und erwarte von anderen Leuten ein ähnliches Verhalten. Ferner fand ich Jungks Urteile über die Amerikaner, insbesondere über Oppenheimer und Teller, von einer vollkommen unzulässigen Selbstgerechtigkeit.“
In einem Gespräch während der letzten „Berliner Sommeruniversität“ hat Robert Jungk sich zu Kramishs Buch Der Greif und zu Weizsäckers „anima candida„-Vorwurf geäußert: „Ich bin richtiggehend irregeführt worden, muß aber sagen, daß ich mich auch habe irreführen lassen. Ich wollte ja in dem Buch, es ist während der McCarthy-Ära erschienen, auch in Amerika, zeigen, daß Widerstand von Wissenschaftlern möglich ist, selbst im Faschismus. Weizsäcker hat dieser Aspekt 1955 natürlich gefallen. Das Wort 'Passivist‘ stammt von ihm.“ Passiver Widerstand, um Schlimmeres zu verhüten. Z.B. die Mitarbeit im Uranverein, damit jüngere, skrupellosere Wissenschaftler diesen Entscheidungsplatz nicht einnehmen konnten. Später wurden Weizsäcker aus der Jungkschen Interpretation seines Verhaltens während der Nazizeit Vorwürfe gemacht: eine Art neue Dolchstoßlegende kam auf. Robert Jungk vermutet, daß diese veränderte Situation Weizsäckers „Bewußtseinswandel“ bewirkte, den er, Jungk, schlicht für eine „Charakterschwäche“ hält. Erich Kuby, früher mit der Schwester C.F. von Weizsäckers verheiratet, bezeichnet solchen Opportunismus gar als „Weizsäcker-Syndrom“, ähnlich auch der ehemalige Nürnberg-Ankläger Robert Kempner in seinen Lebenserinnerungen. Daß Weizsäcker in den fünfziger Jahren die Fragment gebliebene deutsche Atombombe durchaus überall als seinen und Heisenbergs „Widerstand gegen das Nazi-Regime“ verbuchte, kann im übrigen auch Hans -Peter Dürr, Schüler von Edward Teller und ehemals Assistent von Heisenberg, bestätigen. Robert Jungk sagt heute: „Ich habe daran gesehen, die Geschichte wird immer vom Ergebnis her geschrieben, nicht vom Ereignis - das macht sie so schwierig, falsch oft.“
Erst Jahre später fiel es Jungk ein, Weizsäcker zu fragen, warum er als angeblicher Passivist ausgerechnet an die Nazi -Elite-Universität Straßburg gegangen war. Weizsäcker hat darauf nie eine Antwort gegeben.
In Arnold Kramishs Buch über den Atomspion und Herausgeber der Zeitschrift 'Naturwissenschaften‘, Paul Rosbaud, wird ein Kollege Max Borns zitiert (Born hatte als jüdischer Physiker Berufsverbot bekommen und Deutschland verlassen, war aber noch einmal zurückgekehrt, um - vergeblich - einen Teil seines zurückgelassenen Eigentums wiederzubekommen):
„Heisenberg war inzwischen Professor in Göttingen, und als die Borns ihn besuchten, wurden sie mit gegen Juden gerichteten Bemerkungen und Obszönitäten empfangen, und schließlich spuckte Heisenberg vor Max Borns Füßen auf den Boden! ... Als die Borns nach England zurückkehrten und ... ich mich herzlich nach ihrer Reise erkundigte und ob sie eine gute Fahrt gehabt hätten, vertraute mir Max Born nur sehr zögernd dieses Schockerlebnis an ... Ich war entsetzt und zutiefst verärgert ... Später erzählte mir Frau Born ihre Version und schloß mit einer Feststellung, die ich nie vergessen habe. Sie sagte am Schluß einfach: 'Und mein armer Max hat geweint -‘.“
H.P.Dürr schreibt, daß Heisenberg für die Nachkriegsjugend zum „Symbol der Hoffnung“ wurde. Die exakte Naturwissenschaft als letzter Hort der Integrität und Heisenberg als der „sichtbare und verläßliche Vertreter dieser unbestechlichen Welt der Wissenschaft.“
Im 'Bild der Wissenschaft‘, aus dem Robert Jungk unlängst nach fünfzehnjähriger Kolumnisten-Tätigkeit wegen seines Nukem-Engagements rausgeschmissen wurde, wird in der Oktober -Ausgabe eine Heisenberg-Verteidigung (gegen Kramish) versucht: Antisemitismus hin oder her - „In ihrer überwiegenden Mehrheit haben sich die Physiker in ihrer Wissenschaft mutig geschlagen gegen die in Form der 'Deutschen Physik‘ auftretende nationalsozialistische Ideologie.“ (In der SS-Zeitschrift 'Das Schwarze Korps‘ war Heisenberg als „weißer Jude“ angegriffen worden, seiner Mutter, gelang es dann über Goebbels Mutter mäßigend auf den Reichsführer SS einzuwirken.)
Was einige karrieristische deutsche Physiker an Heisenberg kritisiert hatten, war sein Festhalten an der Quantenmechanik gewesen, die er, der zuvor unter Max Born arbeitete, mit diesem sowie mit Pascual Jordan zusammen entwickelt hatte (die entscheidende Idee dazu war Heisenberg auf Helgoland eingefallen).
Auch der Zionist Albert Einstein hat die Quantenmechanik abgelehnt. In seinem veröffentlichten Briefwechsel mit dem assimilierten Juden Max Born bestand Einstein darauf, daß die - von ihm maßgeblich mitbeeinflußte - moderne Physik „jüdisch“ sei (so wie der jüdische Witz), und daß das kein Zufall wäre. Wenn man Einsteins und Borns Denken mit dem von Heisenberg und Weizsäcker etwa vergleicht, kommt man nicht umhin, die Armseligkeit des deutschen naturwissenschaftlichen Denkens zu bemerken.
Von Freud stammt die Einsicht: schon „der kleinste Unterschied“ berge in sich den Keim des Rassismus. Roland Barthes hat dazu einmal angemerkt: „Nicht eliminieren, sondern ausufern, auswuchern lassen!“
Auch Richard Rhodes stößt bei seinen Recherchen immer wieder auf den kleinen „Unterschied“: Wie kommt es, so fragt er sich z.B., daß so viele ausgezeichnete Physiker ungarische Juden sind? Er kommt aber über erste politökonomische Erklärungen nicht hinaus, weil er die experimentelle Physik entschieden und in gewöhnlich amerikanischer Weise der theoretischen vorzieht und außerdem seinen Lieblingsgedanken: eine freie internationale „Gemeinschaft von Wissenschaftlern“ nicht aus den Augen verlieren möchte, die seiner Meinung nach bereits im Keim - „mit der Freisetzung der Kernenergie“ - die Nationalstaaten ausgehebelt hat, auf dem Wege in eine noch freiere Gesellschaft: in „Niels Bohrs offene Welt“.
Rhodes erwähnt kurz, daß auch die Japaner an der Atombombe arbeiteten. Die Amerikaner waren aber von den kreativen Fähigkeiten der Japse wenig überzeugt, sie hielten sie eher für äußerst zähe und brutale Halbmenschen - was ihnen die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki sicher erleichtert hat. Entscheidend war jedoch, daß Deutschland kapitulierte, noch bevor die Physiker in Los Alamos mit ihrer Arbeit so weit waren.
Albert Einstein schrieb einmal - bereits im Mai 1933 - an Max Born: „Ich glaube, du weißt, daß ich nie besonders günstig über die Deutschen dachte (in moralischer und politischer Beziehung). Ich muß aber gestehen, daß sie mich doch einigermaßen überrascht haben durch den Grad ihrer Brutalität und Feigheit.“
Für mich bleiben als Fragen einstweilen offen: was ist so genuin jüdisch am modernen physikalischen Denken (hier hoffe ich, mit Sohn-Rethel eine Antwort zu finden)? Und gab es einen Bruch in der Rolle und Funktion des (jüdischen) Intellektuellen, der in Robert Oppenheimer sich personifizieren ließe - wie Michel Foucault annahm? (Bei Richard Rhodes findet man darauf keine Antworten.)
Bruchlos scheint nach wie vor die deutsche Brutalität zu funktionieren: Der Präsident der John Hopkins Universität lud unlängst ein Dutzend deutscher Dichter und Denker ein zur Diskussion der Dooffrage: „Von Luther bis Marx, von Leibniz bis Küng, von Goethe zu Grass haben deutsche Ideen die Kultur ihrer Zeit geformt - und heute?“ Journalistisch begleitet wurde der BRD-Braintrust von der Gräfin Dönhoff. Das Symposium fand während des erneuten Challenger-Starts statt - was die 'Zeit'-Chefredakteurin voller Stolz zu der Schlußbemerkung inspirierte: „Wer hätte da nicht an einen Deutschen - Wernher von Braun - gedacht?“
Wer - außer einer ostpreußischen Herrenmenschin - hat dabei ausgerechnet an diesen schrecklichen deutschen Wunderwaffen-Ingenieur gedacht?
Helmut Höge
Richard Rhodes Die Atombombe, Greno-Verlag 1988, 48Mark
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