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Krautburger und Baked Beans

 ■  Aus Oklahoma Reed Stillwater

Vielerorts finden im Herbst in Amerika Oktoberfeste statt, vor allem da, wo deutsche Einwanderer stark vertreten sind. Dieses Oktoberfest fand in Okeen, Oklahoma, einem Ort 75 Meilen nordwestlich von Oklahoma City, statt. Die Leute hier heißen Laubach, Weinmeister, Fischer, Krebs, Luektemeyer, Busch.

Das Oktoberfest findet in der Schul-Cafeteria statt. Der Raum ist mit Plaketen aus der Bundesrepublik geschmückt. Die Leute sehen wie ganz normale Amerikaner aus, nur einer hat sich Knickerbocker und einen Tirolerhut angezogen. Zu essen gibt es Sauerkraut und Thüringer Würstchen, Gulasch und Schnitzel, aber auch Baked Beans und Hamburger und eine besondere Kreation: Krautburger. Etwa 200 Leute, vorwiegend ältere Leute aber auch einige Jugendliche, haben sich versammelt, nicht schlecht für eine Ortschaft von 1.700 Einwohnern. Es wird gegessen und geredet, solche Zusammenkünfte sind in einem Landstrich, in dem Nachbarschaft oft einen Radius von 50 Meilen umfaßt, häufig die einzige Gelegenheit, sich nachbarlich zu unterhalten, die High School Band spielt dazu den Donauwalzer. Das ist sozusagen der informelle Teil des Abends. Jetzt kommen die Programmpunkte: zunächst das Gebet, das wäre in jeder vergleichbaren Versammlung so, die einzige Besonderheit in diesem Kreis: ein alter Herr quält sich radebrechend das deutsche Vaterunser ab. Dann folgt der „Allegiance to the Flag“, der Fahneneid, der in diesem Wahlkampf eine solche Rolle spielt. Und dann kommt der Höhepunkt. Ein älterer Herr steht auf, hebt mit wenigen Sätzen die fröhliche Belanglosigkeit des Geplauders auf: „Wir sind heute zusammengekommen, um uns unserer Vorfahren zu erinnern, ihres tiefen Ernstes, ihrer Leistung, um sie uns als Vorbild vor Augen zu halten. Laßt uns die Geschichte unseres Volkes anschauen, und laßt uns diese Geschichte eine Lehre und Inspiration sein.“ Der Mann erzählt die Geschichte, wie Katharina die Große 1764 mit einer Proklamation, in der sie Gedanken-, Steuer- und Wahlfreiheit sowie Befreiung vom Militärdienst versprach, 27.000 deutsche Siedler aus dem damals unter feudalistischem Joch schmachtenden Deutschland an die Wolga holte. „Doch wie bitter wurde unser Volk betrogen und enttäuscht. Unser Volk, das glaubte, in ein Land wo Milch und Honig fliessen würde, zu kommen, fand sich in einer baum- und strauchlosen Steppe wieder. Den ersten Winter verbrachten sie in Erdhütten. 10.000 Menschen starben im ersten Winter. Doch unsere Vorfahren haben durch ungeheuren Fleiß diese Region entwickelt, haben blühendes Land und blühende Dörfer und Städte geschaffen. Der Zar war neidisch auf diese Entwicklung und vergaß das Versprechen Katharinas, er begann die Deutschen zu besteuern und sie zum Militär einzuziehen und wo sie sich weigerten, durch Pogrome verfolgen zu lassen.

Als die Lage für unser Volk immer drückender wurde, entschlossen sich Tausende, nach Amerika auszuwandern. Ihre Schiffe legten in Baltimore an und unser Volk wanderte hinunter nach Nebraska und dann nach Kansas. Schließlich wurde 1892 die Oklahoma-Territorien zur Besiedlung freigegeben. Unser Volk hat einen langen Weg hinter sich, hat viele Unterdrückung erfahren und hat sich seinen Willen zur Freiheit nicht nehmen lassen. Wir sind schließlich in dieses Land gekommen, dem einzigen, das uns Freiheit gab, und das Recht, unser Leben zu leben, wie wir es wollen und unseren Gott zu verehren, wie wir es gewohnt sind. Und für mich hat der Fahneneid eine tiefe Bedeutung, die ich nie vergessen möchte und die ich an unsere Kinder und Kindeskinder weitergeben möchte. Vom Rhein an die Wolga, an den North Loup River in Nebraska, den Smoky River in Kansas bis an den Cimarron River in Oklahoma ist unser Volk gewandert, und jetzt bleibt uns nur noch ein Fluß zu überqueren, den Jordan, den Fluß des Lebens, um in unsere endgültige Heimat einzugehen, dem Land, in dem es weder Krankheit noch Sorge gibt. Und ich hoffe, daß ihr alle, daß unser ganzes Volk auch auf diesem Weg zusammenbleiben wird.“

Der Mann hat Tränen in den Augen und die Gemeinde ist ergriffen. Ist das lächerlich? Ist das peinlich? Und doch ist es typisch amerikanisch. Der Mann redet von den Wanderungen seines Volkes als sei es das Volk Israel, das auf Umwegen und unter mannigfaltigen Prüfungen ins Gelobte Land gefunden hat. Und so verstehen sich Amerikaner auch, vor allem dann, wenn sie sich ihrer nationalen Wurzeln erinnern. Amerika ist das Gelobte Land, das neue Jerusalem, Patriotismus und Religiosität verbinden sich zu einer starken Loyalität. Diese starke Loyalität zu Amerika verbindet alle nationalen und ethnischen Minderheiten, seien sie Griechen, Hispanics, Italiener, Chinesen, Vietnamesen, Iren, Polen oder Deutsche. Wenn Dukakis mit dem Verweis auf seine griechische Abstammung die Nationalitäten mobilisieren will, so versteht es Bush mit dem Streit um den Fahneneid, den Patriotismus genau dieser Wählerschichten anzusprechen. Der Grieche Dukakis hat mit dem Verweis auf seine Immigranten-Tradition noch längst nicht die Emigranten aller Länder als Wähler auf seiner Seite.

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