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Das Restrisiko der Legosteine

Gespräch mit Peter Meyer, Mitarbeiter des Kölner Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung zu den Gefahren der Freilandversuche  ■ I N T E R V I E W

taz: Im Freisetzungsantrag Ihres Instituts heißt es gleich im ersten Satz, Sie „wollen die Diskussion über den Anbau gentechnologisch veränderter Pflanzen im Freiland initiieren“. Demnach hat dieser erste offizielle Freiland -Versuch in der Bundesrepublik nicht nur wissenschaftliche, sondern vor allem politische Ziele.

Peter Meyer: Die Formulierung „vor allem“ stimmt natürlich nicht. Aber wir sind uns im Klaren darüber, daß wir mit unserem Versuch Neuland betreten. Wir wollen mit diesem Versuch erfahren, wie es grundsätzlich mit der Genehmigung von Freiland-Experimenten aussieht. Dennoch ist unser Experiment kein fiktives Design, um eine Freiland-Diskussion loszutreten. Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht für uns keine Alternative, als mit unserem Experiment ins Freiland zu gehen.

Dennoch ist dies ein Testballon, um auszuloten wie das Genehmigungsverfahren läuft, wie die Öffentlichkeit reagiert und ob Freilandversuche durchsetzbar sind?

Sicher, es geht auch darum, das gesamte Szenario durchzuspielen. Wir wollen außerdem Reaktionen von anderen Fachrichtungen erhalten und wir wollen wissen, ob sich das gesamte Genehmigungsverfahren als praktikabel erweist.

Und was halten Sie von der bisherigen Diskussion? Es gab und gibt erheblichen Wirbel um ihr Experiment.

Die Öffentlichkeit ist in Sachen Gentechnik ungeheuer stark sensibilisiert. Das ist nach allen Erfahrungen mit der Wissenschaft verständlich. Wir alle wissen, daß unsere Welt nun mal nicht vollständig kontrollierbar ist, und kein seriöser Wissenschaftler wird diese vollständige Kontrollierbarkeit behaupten. Wir sind natürlich enttäuscht, wenn man auf der anderen Seite diese 100prozentige Kontrollierbarkeit von uns verlangt. Die gibt es nicht. Kein Mensch kann für alles, was irgendwann unter irgendwelchen Bedingungen passiert, die Verantwortung übernehmen. Die Verantwortung der Wissenschaft ist es, alles zu tun, damit nach ihrer Überzeugung ein Experiment so sicher ist, wie es sicher sein kann. Dann bleibt natürlich immer noch ein Restrisiko, das man nicht leugnen darf.

Wie sieht das Restrisiko bei Ihrem Versuch aus? Sie wollen mit ihrem Plasmid nicht nur ein Mais-Gen in die Petunien einschleusen, sondern auch ein bakterielles Antibiotika -Resistenz-Gen. Über die Aktivitäten dieses Gens und sein Eingreifen ins Stoffwechselgeschehen wissen Sie nichts.

Es handelt sich um eine Kanamyzin-Resistenz. Das Gen kommt in Bakterien vor und wird jetzt in Pflanzen exprimiert. In diesem Fall sehe ich kein Restrisiko, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß hier irgendwas passiert. Die Vorstellung, daß das von uns eingesetzte Gen aus der Pflanze raus auf irgendein Bakterium übergeht und dort ausgeprägt wird, ist falsch. Es gibt keinerlei Hinweise dafür, daß die DNA aus dem Pflanzen-Genom herausgeht. Diese DNA kann in dieser Form nur in einer Pflanzen-Zelle ausgeprägt werden und nicht in einem Bakterium. Drittens gibt es im Boden ohnehin genug Bakterien, die eine Kanamyzin-Resistenz haben. Die sind also ohnehin schon da. Deshalb sehe ich bei unserem Experiment auch mit sehr viel Phantasie kein Restrisiko.

Sie wollen nach dem Versuch die Petunien unterpflügen. Was passiert dann mit dem gentechnisch veränderten Material? Es löst sich ja nicht in nichts auf.

Es wird abgebaut. Die Information wird in Einzelkomponenten zerlegt. Wie beim Lego-Haus wird es in einzelne Bausteine zurückgeführt, die Erbinformation wird dabei zerstört.

Können andere Pflanzen oder Bakterien diese Lego-Steine aufnehmen, kann hier also ein Gen-Transfer stattfinden?

Es gibt bis heute keinen Nachweis, daß sowas möglich ist. Aber selbst wenn es zu einem Transfer käme, gäbe es immer noch kein Risiko, weil wir ja nichts Neues einbringen. Die genetischen Informationen, die wir einbringen, sind in der Natur ohnehin vorhanden. Und wie gesagt, das Resistenz-Gen ist so designed, daß es nur in pflanzlichen Systemen funktioniert

Könnte eine andere Pflanze dieses Gen aktivieren?

Das wäre über eine normale pflanzliche Befruchtung denkbar. Dazu müßte eine mit Petunia kreuzbare Pflanze vorhanden sein. Die gibt es in unseren Breiten aber nicht.

In Ihrem Antrag heißt es als Antwort auf Einwände gegen das Experiment, bisher seien noch keine Petunien vom Balkon ausgewandert. Nehmen Sie die Argumente Ihrer Kritiker eigentlich ernst?

Diese Formulierung ist seriös gemeint und nicht polemisch. Wir bemühen uns trotz der Gereiztheit der letzten Diskussionen, die teilweise sehr aggressiv waren, um Sachlichkeit. Wir nehmen unsere Kritiker sehr ernst, und wir begrüßen es ausdrücklich, daß sich die Öffentlichkeit mit unseren Experimenten auseinandersetzt. Vielleicht werden dadurch auch die Ziele unserer Forschung bekannt. Es hört sich machmal so an, als seien wir irgendwelche furchtbaren Leute, die unsinnige Experimente machen, nur um damit ein Restrisiko zu produzieren.

Sie freuen sich über das öffentliche Interesse und verlangen gleichzeitig einen Sicherungszaun für Ihr Institut. Darüber gab es lange Auseinandersetzungen mit der Stadt Köln. Bekommen Sie Ihren Zaun?

Da müssen Sie die Institutsleitung fragen. Ich gehe jedenfalls davon aus, daß wir keinen Belagerungszustand haben werden. Diesen Zustand will kein Wissenschaftler. Der Zaun soll der Eingrenzung des Institutsgelände dienen, es hat keine Sicherheitsfunktionen.

Müssen Sie nicht befürchten, daß im nächsten Frühjahr hinter jeder Petunie ein Polizist stehen wird.

Sicherlich nicht. Wenn man sich vorurteilsfrei unser Experiment ansieht, dann kann man eigentlich nicht mehr aggressiv dagegen vorgehen.

Sie haben anfangs selbst gesagt, daß es nicht nur um dieses Experiment geht, sondern um den Einstieg in die Freisetzung gentechnisch veränderten Materials. Dies ist ein historischer Schritt und deshalb wird hier auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung stattfinden, bei der es nicht nur um Petunien, sondern um die Gentechnik geht.

Mit dieser Situation sind wir durchaus einverstanden. Wir akzeptieren die Auseinandersetzung, und wir wollen als nichtindustrielles Max-Planck-Institut mit dieser ersten Freisetzung Maßstäbe setzen. Wir hoffen, daß wir dadurch bei künftigen Freisetzungen an der Beratung und Diskussion beteiligt werden und unser Know-How einbringen können.

Sie wollen mit Ihrem Experiment Erkenntnisse über springende Gene gewinnen, die Motoren der Evolution gewissermaßen. Dadurch werden Sie dazu beitragen, der Evolution ein wenig Beine zu machen im Sinne der Optimierung von Mensch, Pflanze und Tier. Und die schreitet im rasenden Tempo voran.

Wir wollen der Evolution keine Beine machen, sondern versuchen, sie zu verstehen. Die Vielfalt der Arten, die wir heute haben, ist nicht allein mit Mutationen erklärbar. Es muß auch von der Natur Mechanismen geben, die diese Evolution angekurbelt haben. Springende Gene sind eine Möglichkeit dazu und deshalb untersuchen wir sie.

Die Geschwindigkeit der Entwicklung in der Gentechnik ist natürlich sehr hoch, da haben Sie recht. Wir brauchen deshalb tatsächlich die permanente Kontrolle. Leider ist die Entwicklung im Ausland so, daß die notwendige Diskussion nicht in allen Ländern stattfindet. Das ist ein Problem. Auf der anderen Seite bietet die Gen-Technik viele Chancen und als Wissenschaftler hofft man natürlich etwas Sinnvolles beizutragen. Wenn wir uns z.B. Pflanzen ansehen, wie sie mit Streß und extremen klimatischen Bedingungen umgehen oder mit Pilzbefall, warum sollen wir hier nicht die guten Eigenschaften einer Pflanze auf eine andere übertragen, wenn wir dadurch die Ernährungssituation der Menschen verbessern können.

Wenn Sie auf die fehlenden Kontrollen im Ausland hinweisen, welche Länder meinen Sie konkret?

In Frankreich zum Beispiel laufen Freisetzungsversuche meines Erachtens ohne öffentliche Genehmigungsverfahren. Wir haben heute in der Bundesrepublik die Situation, daß die Industrie jederzeit ins Ausland ausweichen kann. Das müssen wir verhindern. Wir müssen also statt eines Verbots ein kontrollierbares Genehmigungsverfahren schaffen, das auch die Industrie akzeptiert.

Es geht ja nicht nur um ein Verbot als Alternative. Auch die Forderung nach einem Moratorium in Sachen Freisetzung ist ja in der Diskussion.

Ein Moratorium macht nur Sinn wenn wir nach fünf Jahren mehr wüßten als heute. Wir bekommen aber nur mehr Wissen und Erfahrung, wenn wir wirklich mal ins Freiland gehen. Allerdings nur mit Systemen, die auf Herz und Nieren geprüft und die wirklich völlig ungefährlich sind.

Das Interview führte Manfred Kriener

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