: Viel Gerede
■ Peggy Parnass zum Aufruhr um Jenningers Rede
Ida Ehres brennende Rezitation von Paul Celans Todesfuge habe ich im Fernsehen gehört. Tief erschüttert. Anschließend Jenningers Rede. Mir kam keine Sekunde der Gedanke, daß Ida Ehre aus Entsetzen über Jenninger ihre Hände vors Gesicht hielt und weinte, wie viele Bildunterschriften in den Zeitungen es glauben machen wollen. Auch, als abends Kollegen sagten, es habe einen großen Skandal gegeben, brachte ich das nicht mit Jenninger in Zusammenhang.
Anlaß für Skandale gibt es ja hier genug. Ich fand Jenningers Rede ehrlich, wenn auch nicht so geschickt, wie das ganze Geheuchel landauf, landab. 50jähriges Pogromnacht -Jubiläum. Und für viele, die sich damals bei den Juden satt bedient haben, 50jähriges Firmen-Jubiläum. Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, und hier feierten Hinz und Kunz. Schwülstige Reden, lebende Stimmen. Für mich wurden die Redner dadurch nicht glaubwürdiger. Zum Glück hielt auch VVN, Juden wie Arie Goral und ehemalige KZler, die wußten wovon sie sprachen, Veranstaltungen ab - in bescheidenerem Rahmen natürlich. Aufklärung tut Not. Aber so, sich überschneidend und einander ins Gehege kommend, ist es wie bei großen Geburtstagen; zahllose teure Blumensträuße die nach drei Tagen welk weggeworfen und vergessen sind. Da wünsch ich mir auch lieber ein Jahresabonnement.
Jenninger war ungeschickt - so what? Ach so, Ganz Deutschland, ja die ganze Welt, guckte auf ihn? Ja, wohin hat denn ganz Deutschland, die ganze Welt, vorher die ganzen Jahre nach 1945 geguckt? Als das ganze Nazi-Gesocks in hohen Positionen blieb und auch den Nachwuchs ausbildete? In den verschiedenen Regierungen, in der Justiz, im Verfassungsschutz, in der Bundeswehr, an den Schulen und Hochschulen, als Chefärzte, in der Wirtschaft, sogar im Wiedergutmachungsgremium? In der Großindustrie, da wo aus Millionären Milliardäre wurden, sowieso. Da, wo die Sklavenarbeit von Juden, Widerstandskämpfern und anderen KZ -lern heute noch Früchte trägt und der Waffenhandel blüht.
Es gibt so viele Halunken, die diese ganzen Jahre uns und unser Leben bestimmt haben. Unter Adenauer liefen die Massenmörder frei herum. Kommunisten warf man ins Gefängnis. Sintis, Schwulen, Zwangssterilisierten und anderen verweigert man bis heute sogar die lächerliche sogenannte „Wiedergutmachung“. Widerstandskämpfer versuchte man gar nicht erst zu „entschädigen“. Begründung: „Die meisten waren Kommunisten. Die waren doch nur aus eigenen politischen Interessen im Widerstand.“
Und nun, nach Jenningers Rede, ging ein Schrei der Empörung durch alle Parteien. Weil er, „ausgerechnet an diesem Tag“, wie es heißt, seine Rede so und nicht anders hielt. Das man sonst weniger empört ist, wird wohl seine Gründe haben.
Jenninger mußte gehen. Freund und Feind bescheinigen ihm inzwischen eine hohe Integrität.
Strauß durfte bleiben, bis er tiefbetrauert starb. Zimmermann wird von niemanden aus seiner Macht- und Einfluß -Position herausgeprügelt. Die vielen anderen auch nicht. Von einem harmlosen Jenninger trennt man sich leichter.
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